In einer früheren Blog-Serie „Die US-Musikindustrie vs. die FilesharerInnen“ (Teil 1, Teil 2, Teil 3 und Teil 4) wurde die letztendlich gescheiterte Kampagne der Recording Industry Association of America (RIAA) gegen individuelle Musik-FilesharerInnen in den USA ausführlich dargestellt. Die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) in London und einige ihrer Ländergesellschaften haben sich diesem Kampf angeschlossen. Als aber die RIAA 2008 die Klagewelle gegen individuelle FilesharerInnen eingestellt hat, hat auch die IFPI ihre Kampagne beendet. Nicht so in Deutschland. Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) kündgte im März 2009 ein massives juristisches Vorgehen gegen Musiktauschbörsen-NutzerInnen an, was eine neue Qualität in der Verfolgung von Filesharing darstellte und das zur Ausprägung brachte, was in der Folge als „Abmahnwesen“ bezeichnet wurde. Wie sich dieses Abmahnwesen in Deutschland etablieren konnte, welche Rolle dabei die Rechtsprechung spielte und wie der Gesetzgeber versucht hat, den Auswüchsen entgegenzuwirken, soll in einer 7-teiligen Serie untersucht werden.

Im Teil 1  wird die Vorgeschichte – Die IFPI-Klagewelle von 2004 bis 2008 – zur Entstehung des Abmahnwesens in Deutschland  dargestellt.

 

Das Abmahnwesen in Deutschland – Teil 1: Die IFPI-Klagewelle von 2004 bis 2008

Nach dem Vorbild der RIAA wurde in vielen anderen Ländern von den jeweiligen Musikindustrieverbänden und auch von Verwertungsgesellschaften für Leistungsschutzrechte gegen Personen, die Filesharing betrieben haben, juristisch vorgegangen. Diese Form der Massenklagen wurde von der IFPI-Zentrale in London zwischen 2004 und 2008 koordinierte. Der Auftakt zur Klagewelle war das Aussenden von Warnmeldungen über die Instant Messaging Programme der Filesharing-Netzwerke seit dem August 2003 in Australien, Dänemark, Deutschland, Kanada und Österreich. In den mehr als 2 Millionen Mitteilungen an die FilesharerInnen wurde auf ihr illegales Treiben aufmerksam gemacht. So lautete die Warnung der IFPI Austria: „ACHTUNG! Sie bieten geschützte Musikfiles ohne Zustimmung der Rechteinhaber über eine Internet-Tauschbörse an (…)“ (IFPI Digital Music Report 2004: 14). Verklausuliert wird im IFPI Digital Music Report 2004 auch schon auf die Möglichkeit, individuelle FilesharerInnen, so wie in den USA, abzumahnen hingewiesen (ibid.).

Ende März 2004 kündigte die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) 247 Klagen gegen Musiktauschbörsen-BenutzerInnen in Dänemark, Deutschland, Italien und Kanada an. Die Klagen wurden von der IFPI mit der angeblich erfolgreichen RIAA-Kampagne in den USA begründet.[1] Noch im selben Jahr wurden weitere 453 ausgeforschte FilesharerInnen in den schon genannten Ländern und zusätzlich noch in Frankreich, Großbritannien und Österreich mit Klage bedroht (IFPI Digital Music Report 2005: 21).

2005 wurde die zivil- und teilweise auch strafrechtliche Kampagne gegen FilesharerInnen intensiviert. In 17 Ländern wurden rund 52 Millionen Instant Messages auf P2P-Portalen und rund 11.000 Klageandrohungen von den IFPI-Ländergesellschaften ausgesandt –davon allein 8.650 von der RIAA in den USA.[2] Im IFPI Digital Music Report 2006 wird dazu vermerkt, dass „(…) the deterrence strategy has not only proved effective – it has, to date, weathered the cynicism of its critics. Thousands of individuals have paid settlements averaging $US 3,000 each.“ (IFPI 2006: 20). Ob die Abschreckung eingetreten ist, darf aufgrund der früher schon zitierten empirischen Belege bezweifelt werden. Jedenfalls wurden 2006 weitere 10.000 FilesharerInnen in 18 Ländern ausgeforscht, und mit Schadenersatzforderungen konfrontiert. Die BBC berichtete im November 2006, dass außerhalb der USA rund 2.100 Fälle von der IFPI verfolgt wurden.[3] Allein in Großbritannien wurden seit 2004 insgesamt 97 Fälle registriert, von denen 71 außergerichtlich beigelegt wurden. Dabei wurde in Summe £ 140.000 von den ertappten FilesharerInnen an den britischen Musikindustrieverband BMI als Schadenersatz bezahlt.[4] Im Oktober 2007 folgte die nächste Welle an Klagen gegen FilesharerInnen durch die IFPI.[5] Dieses Mal wurden rund 8.000 Personen in 17 Ländern[6] ausgeforscht, die vor allem große Mengen an Musikdateien in Musiktauschbörsen zum Download angeboten hatten. Die IFPI berichtete in dem Zusammenhang, dass in den knapp über 2.300 abgeschlossenen Fällen im Durchschnitt EUR 2.420 von den Beklagten als Schadenersatz bezahlt wurden – also insgesamt rund EUR 5,6 Mio.[7]

Im März 2008 zeichnete sich ein Strategiewechsel der IFPI ab. Bereits im IFPI Digital Music Report 2007 wurden die Massenklagen gegen FilessharerInnen nur als zweitbeste Lösung bezeichnet: „The recording industry accepts that mass-scale legal action against uploaders is the second best solution for containing internet piracy. The best answer lies in tackling the problem closer to its source.“ (IFPI 2007: 18). Anstatt weiterhin Einzelpersonen, die im Filesharing aktiv waren, zu verfolgen, intensivierte die IFPI die 2005 begonnene Kampagne,[8] die Internetserviceprovider (ISP) beim Kampf gegen das Filesharing stärker in die Pflicht zu nehmen.[9] Diese sollten den Zugang zu inkriminierten Seiten, wie z.B. The Pirate Bay, blockieren. Jedenfalls scheint die IFPI im Laufe des Jahres 2008 die Klagen gegen Einzelpersonen eingestellt zu haben, nachdem die EMI, Medienberichten zur Folge, ihren finanziellen Beitrag zur IFPI-Klagewelle zurückgezogen hatte.[10] Daraufhin scheinen auch die anderen Majors die Politik der Abschreckung durch Klagandrohung überdacht zu haben.[11]

Obwohl die von der IFPI-Konzernzentrale konzertierte Klagewelle 2008 eingestellt worden war, haben einzelne IFPI-Ländergesellschaften weiterhin FilesharerInnen ausforschen und abmahnen lassen. Besonders aktiv wurde das in Deutschland praktiziert, wo sich bereits während der IFPI Klagewelle ein Abmahnwesen etablieren konnte, dass nach 2008 zur vollen Blüte gelangte. Dazu dann mehr im zweiten Teil der Serie.

 

Siehe auch:

Das Abmahnwesen in Deutschland – Teil 1: Die IFPI-Klagewelle von 2004 bis 2008

Das Abmahnwesen in Deutschland Teil 2: Die Abmahnwelle erreicht ihren Höhepunkt

Das Abmahnwesen in Deutschland – Teil 3: Ein neues “Geschäftsmodell” wird etabliert

Das Abmahnwesen in Deutschland Teil 4: Widersprüchliche Rechtsprechung – Der Bundesgerichtshof greift ein

Das Abmahnwesen in Deutschland – Teil 5: Der Abmahnparagraf wird novelliert

Das Abmahnwesen in Deutschland Teil 6: Der Bundesgerichtshof ist erneut am Zug

Das Abmahnwesen in Deutschland – Teil 7: Das „Geschäftsmodell“ verliert an Attraktivität

 

Endnoten

[1] Siehe dazu Matt Hines in CNET vom 30. März 2004: „File-sharing lawsuits go abroad“ (http://news.cnet.com/File-sharing-lawsuits-go-abroad/2100-1027_3-5181872.html, letzter Zugriff am 24.02.2015).

[2] Berechnung auf Basis der Zahlenangaben im IFPI Digital Music Report 2006 (2006: 20) und RIAA Watch (http://sharenomore.blogspot.co.at/, letzter Zugriff am 26.02.2015). Neben den USA wurden Klagen gegen FilesharerInnen in Argentinien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Hong Kong, Island, Irland, Italien, Japan, Niederlande, Österreich, Singapur, Schweden und in der Schweiz eingebracht.

[3] Siehe dazu BBC News vom 15. November 2005: „Legal fight hits ‚music pirates'“ (http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/4438324.stm, letzter Zugriff am 24.02.2015).

[4] Ibid.

[5] Siehe dazu Eric Bangeman in ArsTechnica vom 17. Oktober 2006: „IFPI files 8,000 new file-sharing lawsuits“ (http://arstechnica.com/business/2006/10/8001/, letzter Zugriff am 24.02.2015).

[6] Siehe ibid.: Argentinien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Hong Kong, Island, Irland, Italien, Mexiko, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Singapur und die Schweiz.

[7] Ibid.

[8] Siehe dazu IFPI Digital Music Report 2006 (IFPI 2006: 17).

[9] Siehe dazu IFPI-Chairman John Kennedy im IFPI Digital Music Report 2008: „Making ISP Responsibility a Reality in 2008“ (S. 3), http://www.ifpi.org/content/library/dmr2008.pdf (letzter Zugriff am 25.02.2015).

[10] Der Schwenk der EMI kam, nachdem die Terra Firma Capital Partners das Unternehmen 2007 um £ 3,2 Mrd. aufgekauft hatte und im November sogar den gesamten Mitgliedsbeitrag an die RIAA in den USA und die IFPI-Zentrale in London infrage gestellt hatte. Siehe dazu Eric Bangemann in ArsTechnica vom 28. November 2007: „Report: EMI looking to slash funding for RIAA, IFPI“ (http://arstechnica.com/uncategorized/2007/11/report-emi-looking-to-slash-funding-for-riaa-ifpi/, letzter Zugriff am 26.02.2015).

[11] Siehe dazu Peter White in rethinkresearch.biz vom 19. März 2008: „EMI Cuts Anti-Piracy Funding of IFPI“ (http://www.rethinkresearch.biz/articles/emi-cuts-anti-piracy-funding-of-ifpi/, letzter Zugriff am 26.02.2015).

 

Quellenangaben

IFPI Digital Music Report 2004

IFPI Digital Music Report 2005

IFPI Digital Music Report 2006

IFPI Digital Music Report 2007

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..