Die zweiten „Vienna Music Business Research Days“, die vom 8.-10. Juni 2011 an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien stattfanden, befassten sich unter dem Titel „New Music Distribution Models“ mit der Frage, welche Geschäftsmodelle für den digitalen Musikvertrieb derzeit existieren und welches Erfolgspotenzial sie aufweisen. Es wurde aber auch hinterfragt, was Musik-Download, Streaming und Cloud-Musik für die Musikschaffenden bedeuten und wie diese Modelle von den Musikkonsument/innen angenommen werden.

In Ergänzung zu den Vorträgen und Podiumsdiskussionen mit internationalen Expert/innen des Musikbusiness wurde erstmals auch ein Young Scholars‘ Workshop abgehalten, in dem Jungakademiker/innen die Möglichkeit geboten wurde, ihre Forschungsergebnisse zu „Innovations in Music Business“ zu präsentieren und mit Musikwirtschaftsexpert/innen sowie dem fachkundigen Publikum zu diskutieren.

In der nachfolgenden Zusammenfassung der zweiten „Vienna Music Business Research Days“ können nun die Veranstaltungen am 8. und 9. Juni nachgehört und die meisten Paper und Präsentationen auch herunter geladen werden.

 

Auftaktdiskussion: „Is Streaming the Answer …?“ am 8. Juni 2011

Unter der Leitung der Ö1-Moderatorin Sonja Bettel diskutierten am Abend des 8. Juni 2011 der Gründer und Geschäftsführer der deutschen Musikstreaming-Plattform simfy, Steffen Wicker, der Präsident des Dachverbands unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten Österreichs – VTMÖ, Alexander Hirschenhauser und Peter Tschmuck von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, ob Musikstreaming-Angebote in Zukunft das zentrale Geschäftsmodell der Musikdistribution sein werden, was Steffen Wicker naturgemäß bestätigte. Aber auch Alexander Hirscherhauser sah viel Entwicklungspotenzial in Streamingdiensten wie Spotify und Simfy, mahnte aber die faire Verteilung der Einnahmen zwischen den Plattform-Betreibern und Rechteinhabern ein.  In dem Zusammenhang verwies Alexander Hirschenhauser auf Auszahlungsbeträge im Mikro-Cent-Bereich hin, mit denen weder ein Geschäftsmodell betrieben noch ein relevantes Einkommen für Musikschaffende betrieben werden könnte. Steffen Wicker bestätigte die Angaben Hirschenhausers, machte aber auch klar, dass lediglich 25 Prozent des Katalogs, den simfy.de zum Streamen anbietet, genutzt wird. Der große Rest von 75 Prozent wird so gut wie gar nicht von den Musikkonsument/innen angehört. Dass sich daraus eine extrem ungleiche Verteilung der Einkommensströme ergäb, verstände sich wohl von selbst. So blieb letztendlich die Frage, ob Streaming die Antwort auf viele Fragen der gegenwärtigen Entwicklung der Musikdistribution wäre, offen.

Zum Download: Auftaktdiskussion 1. TeilPublikumsdiskussionSchlussrunde

 

New Music Distribution Models am 9. Juni 2011

Der zweite Konferenztag begann mit einem Vortrag von Patrik Wikström von der Jönköping International Business School, der „A Typology of Music Distribution Models“ vorstellte. Dabei zeigte Wikström den Wechsel im Konsumverhalten der Musiknutzer/innen auf, die in Zeiten der CD und letztendlich auch noch mit dem Download Musik (z.B. iTunes oder Amazon) besitzen wollen. Dieses Verhalten wurde aber in der letzten Zeit vom Wunsch, über Musik einfach nur zu verfügen und stets darauf zugreifen zu können überlagert, was sich in Freemium-Geschäftsmodellen aber auch in Streaming-Plattformen wie YouTube, Spotify oder Simfy niederschlug. Das Problem liegt aber darin, dass bei in etwa gleichen Katalogen der Plattform-Anbieter der Preiswettbewerb in den Vordergrund rückt. Allerdings lässt sich mit Gratis-Angeboten kaum zu konkurrenzieren. Aber schon zeichnet sich ein neues Verhaltensmuster im Zusammenhang mit den Social-Media-Angeboten ab. Das Musikerlebnis im sozialen Kontext, wie es im Grunde genommen im Live-Bereich immer schon gab, wird die Musikdistribution bestimmen. Es muss den Musikkonsument/innen möglich sein, ihre Musik zu organisieren, neue Musik zu entdecken und mit anderen darüber zu kommunizieren. Damit ist aber die Entwicklung der Musikdistribution keineswegs abgeschlossen. Wie musikzentrierte Games belegen, möchten die Musikkonsument/innen aktiv ins Geschehen eingreifen und mitgestalten. Das Verwenden von Musik durch aktive Prosumer/innen wird nach Wikström in Zukunft im Vordergrund stehen. Vereinzelt weisen Künstler/innen Imogen Heap den Weg, die es Ihren Fans erlaubt, ihre Musik zu remixen, mit anderen zu tauschen und sogar an der Biografie der Musiker mit zu arbeiten.

Zum Download: Konferenz-Paper von „A Typology of Music Distribution Models“

 

Im nachfolgenden Vortrag erläuterte der Chefökonom der britschen Musik-Verwertungsgesellschaft, Will Page, wie die neuen digitalen Musikdistributionsmodelle aus Sicht der Verwerter zu bewerten wären. Es hätten sich vor allem die Musikkaufgewohnheiten der Konsument/innen verändert. Zwar werde immer noch der größte Pro-Kopf-Umsatz mit dem physischen Produkt erzielt, aber das digitale Geschäft und auch der Handel mit Musiknutzungsrechten sind stark am Aufholen. Das ließe sich besondern gut am Beispiel des britischen Marktes belegen, der zwar sein Top-1-Position 2010 an Deutschland verloren hat, aber in der Konversion von physischem zum digitalen Produkt wesentlich weiter sei als Deutschland oder Österreich. Während in Großbritannien bereits US$ 5,68 pro Kopf für digitale Musikprodukte ausgegeben werden, sind es in Deutschland nur US$ 2,16 und in Österreich US$ 2,09. Im Vergleich zu den USA und so manchen asiatischen Märkten, wo der digitale Markt bereits mehr als 50 Prozent am Gesamtumsatz ausmache, gäbe es in Europa noch sehr viele Potenziale zu nutzen. Will Page verwies in dem Zusammenhang auf den seit Jahren sinken Anteil der Musikkäufe (Musikprodukte wie auch Live-Geschäft) an verfügbaren Einkommen britischer Haushalte („wallet share“) hin. Obwohl die Ausgaben der Konsument/innen für Live-Musik die Verluste aus dem Geschäft mit „recorded music“ in den letzten drei Jahren durchaus kompensieren konnte, so wird anteilsmäßig in Großbritannien im weniger vom Haushaltseinkommen für Musik ausgegeben. Es wäre dabei viel zu einfach, Musiktauschbörsen verantwortlich zu machen und man müsse daher auch das geänderte Freizeitverhalten und Substitutionsgüter wie Games oder Kinobesuche in die Betrachtung mit einbeziehen.

Zum Download: Konferenzpaper „Adding up the UK Music Industry for 2009“ und „Wallet Share“

Ein Interview mit Will Page kann in der Futurezone nachgelesen werden.

 

Nach der Mittagspause zeigte der Mitentwickler des ersten MP3-Players und Gründer der in Bergen/Norwegen beheimatete Musikidentifikationsfirma Bach Technology, Dagfinn Bach, auf, dass Musikdistributionsmodelle auch nach ökologischen Gesichtspunkten bewertet werden können. In der Energiebilanz mache es einen gewaltigen Unterschied, ob digitale Inhalte wie Musik heruntergeladen oder gestream werden würden. Da der Download auf ein Wiedergabegerät nur einmal einen Energieverbrauch darstelle, so würde bei Musikstreams jedes Mal ein Datenstrom um die Welt geschickt, der in Summe zu einem großen Stromverbrauch führe. Wenn zudem berücksichtigt wird, dass für die Serverfarmen, wo die ganzen Musikdaten gespeichert werden müssten, immense Energiekosten für das Kühlen anfallen, so ist die Energiebilanz für das Streamen wesentlich ungünstiger als für den Download. Dagfinn Bach zog daraus den Schluss, dass sich letztendlich der Download gegenüber dem Stream durchsetzen werde. In weiterer Folge präsentierte Dagfinn Bach die verschiedenen Produkte, die Bach Technology unter dem Trademark Music DNA anbietet. Besonderer Bedeutung kommt dabei der MPEG7-Komprimierungsstandard zu, der es den Musikkonsument/innen erlauben wird nicht nur Musik zu hören, sondern auch die Songtexte mit zu lesen du gleich auf Informationen über das nächste Konzert der Band abzurufen.

Ein Interview mit Dagfinn Bach kann in der futurezone nachgelesen werden.

Live-Mitschnitt der Präsentation und der anschließenden Publikumsdiskussion

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion zur Frage „How to Make a Profit with Music Distribution?“ tauschten sich unter der Leitung des deutschen Musikjournalisten Manfred Tari, Dagfinn Bach (Bach Technology, Norwegen) David Bahanovich (University of Hertfordshire, U.K.), Will Page (PRS-for-Music, U.K.) und Steffen Wicker (simfy.de, Deutschland), darüber aus, ob und wie heutzutage mit Musikdistribution überhaupt noch ein Geschäftsmodell betrieben werden kann.

 

 

Den Abschluss des zweiten Konferenztages bildete die Präsentation des White Paper „Neue Töne der Musikwirtschaft“ für den focus-Call „Musik“ der Kreativagentur der Stadt Wien, departure. Nach einer Einleitung durch den departure-Geschäftsführer, Christoph Thun-Hohenstein, präsentierte der Hauptautor Peter Tschmuck von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, in Grundzügen die Struktur und den Inhalt des White Papers, das als Inspirationsquelle für die Einreichung innovativer Projekte für den Fördercall dienen soll. Die Leiterin der Förderabteilung von departure, Sabine Hofmann, informierte zum Abschluss zum Förderprocedere und zu Details der Antragstellung.

PowerPoint-Präsentation der White-Paper-Vorstellung und das White Paper zum Download 

White-Paper-Präsentation 

 

 

Young Scholars’ Workshop zu „Innovations in Music Business“ am 10. Juni 2011

Am dritten und letzten Konferenztag präsentierten Jung-Wissenschafter/innen aus Brasilien, Deutschland, Großbritannien, Norwegen und Österreich ihre Forschungsergebnisse zu “Innovations in Music Business”.

Panel 1: Chair: Dennis Collopy, University of Hertfordshire, U.K.

Victor Gangl, Donau-Universität Krems, Österreich: New Strategies and Instruments of Artist and Repertoire Policy in Response to Collapsing Sales in the Music Industry

Pinie Wang, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Österreich: The Music Industry as Subsystem of Media

Panel 2: Chair: Carsten Winter, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Deutschland

Glaucia Peres da Silva, Humboldt Universität Berlin, Deutschland: The Formation of the ‘World Music’ Market.

Marius Carboni, University of Hertfordshire, U.K.: Changes in the Way Classical Music Has Marketed Itself Over the Last 20 Years

Panel 3: Chair: Patrik Wikström,JönköpingInternationalBusinessSchool, Schweden

Alexander Roth und Christopher Buschow, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, Deutschland: The Relation of Digital Native’s Fandom and their Willingness to Pay for Music Records: A Post-Free-Riding Perspective

Daniel Nordgård, University of Agder, Norwegen: Understanding the Digital Revolution’s Impact on the Music Industry: The Evolution of the Live Music Sector

 

 © alle Fotos von Magdaléna Tschmuck  

Medienecho

Musikwoche vom 8. März 2011: „Wiener Tagung widmet sich der Musikwirtschaftsforschung“

MICA-News vom 27. Mai 2011: „Im Zentrum der Wertschöpfung – Peter Tschmuck im mica-Interview“

Die Presse vom 5. Juni 2011: „Peter Tschmuck – Das Business und die Forschung“

Futurezone vom 6. Juni 2011: „Neue Modelle des Musikvertriebs“

Futurezone vom 13. Juni 2011: „Einen Song um die Welt schicken, ist verrückt – Interview mit Dagfinn Bach“

Kulturmanagement.net vom 16. Juni 2011: „Konferenzbericht: Zweite Vienna Music Business Research Days“

Ö1 Digital.Leben vom 21. Juni 2011: „Streaming – Plattensammlung auf Abruf“

Futurezone vom 27. Juni 2011: „Cloud Musik: ‚Apple hat die besten Chancen‘ – Interview mit Will Page“

WDR3 vom 2. September 2011: „Die Zukunft des Bizz“ 

 

Archiv

Nachbetrachtung der ersten Vienna Music Business Research Days vom 9.-10. Juni 2010

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