Der Boom am Musikrechtemarkt setzt sich auch 2023 unvermindert fort. Schon im Januar des neuen Jahres verkündete Primary Wave, dass es sämtliche Masterrechte und daraus fließende Einkommensströme der Rockband YES aus ihrer Zeit bei Atlantic Records sowie die Musikrechte der beiden ehemaligen Mitglieder der US-Rockband, The Doors, Robby Krieger und Ray Manzarek, erworben hat.[1] Kurz danach wurde bekannt, dass Justin Bieber um geschätzte US $200 Mio. seine gesamten Musikverlagsrechte inklusive des Autorenanteils sowie den Künstleranteil an den Leistungsschutzrechten an den von Blackstone finanzierten, privaten Hipgnosis Songs Capital Fund verkauft hat.[2]

Damit wird die Aktualität der Serie „Musik als Investment“ noch einmal unterstrichen, die sich zum Ziel setzt, den aktuellen Boom am Markt für Musikrechte zu untersuchen und einen Erklärungsansatz dafür zu finden.

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Musik als Investment – Teil 9: Ein Erklärungsansatz

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Im Teil 1 der Serie wurden die Rechte-Deals der drei Musik-Majors Universal Music Group, Sony Music Entertainment und Warner Music Group beleuchtet, in denen große Summen für Verlags- und Masterrechte ausgegeben wurden. So hat die Sony Music Group innerhalb von zehn Monaten bis März 2022 US $911 Mio. für den Erwerb von Musikrechten bezahlt, darunter allein US $550 Mio. für die Verlags- und Masterechte an den Aufnahmen von Bruce Springsteen. Aber auch die Universal und die Warner Music Group haben in den letzten Jahren hunderte Millionen US-Dollar in Musikrechte investiert. Die Majors liefern sich dabei Bieterschlachten beim Kauf besonders lukrativer Rechtekataloge und treiben somit deren Preise in die Höhe.

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Eine Typologie von Musikrechteverwertern

Es mischen aber mittlerweile nicht nur die traditionellen Musikcontent-Verwerter mit, sondern auch große Investmentfonds. Die Warner Music Group lässt sich von der Investmentgesellschaft BlackRock, die mehrere Billionen US-Dollar an Anlegervermögen verwaltet, finanziell mit Hilfe der Influence Media Partners unter die Arme greifen. Ein anderer Investmentgigant, die Blackstone Group, mischt bei Hipgnosis mit, indem es sich am Hipgnosis Song Management beteiligt hat und gemeinsam den privaten Hipgnosis Songs Capital Fonds mit einem Volumen von US $ 1,0 Mrd. aufgelegt hat. Hipgnosis, das im Teil 4 und Teil 5, genauer analysiert ist, stellt eine neue Form von Musikrechte-Verwertungsunternehmen dar, das Songkataloge als Anlagegut („asset class“) und Spekulationsobjekt betrachtet, mit dem Renditen für AnlegerInnen erwirtschaftet werden sollen. Ähnlich agiert der Rechteverwerter Round Hill (Teil 6), der nicht zufällig vom ehemaligen Hedgefonds-Manager Josh Gruss 2010 gegründet worden war. Round Hill hat mehrere Music Royalty Funds aufgelegt, in die InvestorInnen ihr Kapital anlegen können. Dazu werden nicht nur die Rechte einzelner KünstlerInnen erworben, sondern ganze Musikverlage, wie z.B. Carlin America im Jahr 2017.

In der Akquisition von Musikverlagen und Musiklabels besteht auch das Geschäftsmodell weiterer Player am Musikrechtemarkt. Vergleichsweise traditionell geht dabei die BMG Rights Management vor, die im Teil 2 der Serie ausführlich beschrieben wurde. Nachdem die BMG 2007 den riesigen Musikverlag und ein Jahr später sein Label-Konglomerat verkauft hatte und faktisch aus dem Musikmarkt ausgestiegen war, kam es 2009 zum Comeback mithilfe der US-Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR). Mit frischem Kapital wurden in den Folgejahren zahlreiche Musikverlage und Labels aufgekauft, was die BMG Rights Management zu einem der größten unabhängigen Musikrechteverwerter machte. Eine ähnliche Transformation von einem Musikverlag zu einem Musikrechteverwerter haben Primary Wave (Teil 3) und Reservoir Media Management (Teil 8), durchgemacht, indem nicht nur Verlagskataloge, sondern auch Labels aufgekauft wurden.

Reservoir konnte sich die Investments nicht zuletzt aufgrund des Börsengangs im Jahr 2021 leisten, der durch eine Special Purpose Acquisition Company (SPAC) ermöglicht wurde. SPACs sind eine neue Form von Aktiengesellschaften, die nur mit dem Zweck gegründet werden, andere Unternehmen aufzukaufen bzw. an die Börse zu bringen. In den letzten Jahren haben SPACs einen Boom erlebt und hielten auch Einzug in die Musikindustrie, wie im Teil 7 der Serie ausführlich dargestellt wird. Allerdings scheint der SPACs-Boom gerade zu Ende zu gehen, was auf regulative und steuerrechtliche Vorgaben, aber auch auf ein inflationsbedingt schlechtes Börsenumfeld zurückzuführen ist.

Die aufgrund des massiven Preisauftriebs hohen Zinsen stellen auch ein Problem für die meist fremdfinanzierten Musikinvestment-Fonds da. So machen die Finanzierungskosten beim Hipgnosis Songs Fund rund 10 Prozent aus, was bereits zu einer Umschuldung geführt hat, um die Kreditzinsen zu reduzieren. Außerdem sind 2022 keine neuen Musikkataloge mehr aufgekauft worden (Teil 5). Auch Round Hill hat mit steigenden Finanzierungskosten zu kämpfen und nutzte den Börsengang des Round Hill Music Royalty Funds dazu, um die InvestorInnen in den Music Royalty Fund I auszubezahlen (Teil 6).

Damit ist eine weitere Besonderheit der neuen Musikinvestment-Vehikel erkennbar, und zwar, dass drei der besprochenen Unternehmen vor Kurzem an die Börse gegangen sind – Hipgnosis Songs Fund, Round Hill Music Royalty Fund und Reservoir Media Management. Das lässt den Schluss zu, dass es genügend InvestorInnen gibt, die in Musikrechten eine lukrative Anlage sehen. Dabei zeigen sich aber Unterschiede, die in folgender Typologie abgebildet werden kann (Abb. 1).

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Abbildung 1: Typologie von Musikrechteverwertungsunternehmen

Erklärungsansatz Teil 9-Abb. 1 Typologie

Quelle: Eigene Darstellung

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Vor allem bei jenen Unternehmen, die schon seit Jahrzehnten in der Musikindustrie tätig sind, wozu in erster Linie die Musik-Majors zählen aber auch die BMG Rights Management, die zwar erst seit 2009 existiert aber mit der Bertelsmann Music Group auf einen Major als Vorläuferunternehmen verweisen kann, steht die Label- und Verlagsarbeit im Vordergrund. Das heißt, es werden Labelverträge mit InterpreterInnen und Verlagsverträge mit KomponistInnen und TextautorInnen geschlossen, die vertraglich mit Vorschüssen und Umsatzbeteiligungen am Erfolg der Musikverwertung beteiligt werden. Auch neue Player wie Primary Wave und Reservoir verfolgen dieses traditionelle Geschäftsmodell und signen trotz der massiven Katalogkäufe auch in neue KünstlerInnen. Beide Unternehmen sind auch als Musikverlage gegründet worden, die durch eine aggressive Expansion zu relevanten Musikrechteverwertern geworden sind.

Allerdings zeigt eine genauere Analyse, dass Primary Wave und Reservoir anders als traditionelle Musikverlage, die Musikrechte als Anlagegut und Investment betrachten. Primary Wave arbeitet zu diesem Zweck mit der Investmentgesellschaft Oaktree Capital Management zusammen, die dem Unternehmen die nötigen Finanzmittel für die Akquisition der Musikkataloge zur Verfügung stellt (Teil 3). Reservoir besorgt sich das Kapital am Aktienmarkt, um weiter zu wachsen und fusionierte zwecks Börsengang mit einer Special Purpose Acquisition Company (SPAC) (Teil 8).

Dem stehen der Hipgnosis Songs Fund und Round Hill gegenüber, die sich klar als Investmentfonds für Musikrechte positioniert haben und nur am Rande, wenn überhaupt, Label- und Verlagsarbeit leisten. Sie sehen ihre Hauptaufgabe darin, die erworbenen Musikkataloge nach allen Regeln der Kunst wirtschaftlich zu verwerten. Musik wird dadurch zu einem Anlage- und Spekulationsgut, das für die InvestorInnen entsprechende Renditen abwerfen soll.

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Die Rolle billionenschwerer Investmentgesellschaften im Musikrechte-Business

Es ist daher alles andere als überraschend, dass die weltweit größten Investmentgesellschaften am Musikrechtemarkt mitmischen, weil sie über das nötige Anlagevermögen verfügen. So unterstützt der Investmentgigant BlackRock, der Vermögenswerte in der Höhe von rund US $10 Bio. verwaltet,[3] mit Hilfe der Musik- und Medienplattform Influence Media Partners[4] die Warner Music Group beim Kauf lukrativer Musikkataloge. Die BMG Rights Management verdankt ihre Gründung 2009 unter anderem der Investmentgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR),[5] die zwischenzeitlich die Kooperation mit der BMG gelöst, nun aber wieder mit frischem Anlegerkapital als Kooperationspartner eingestiegen ist. Unterstützung durch eine Investmentgesellschaft erhält auch Hipgnosis. Allerdings nicht beim börsennotierten Hipgnosis Songs Fund, denn der billionenschwere US-Kapitalanleger Blackstone[6] hat sich an der Hipgnosis Song Management Ltd. (HSM) beteiligt, die als Investment Advisory Board für den Hipgnosis Songs Fund fungiert. Zu diesem Zweck wurde der private Fonds Hipgnosis Songs Capital (HSC) gegründet, in den Blackstone rund US $1 Mrd. an Fondsvermögen eingebracht hat, um Songrechte aufzukaufen (Teil 4). Schließlich ist noch Oaktree Capital Management[7] zu nennen, die Primary Wave beim Erwerb von Musikrechten finanziell unter die Arme greift.

Das Engagement der weltweit führenden Investmentgesellschaften im Musikrechtemarkt liefert einen ersten Erklärungsbeitrag, warum aktuell das Musikrechte-Business boomt. Die Musikinvestmentfirmen sind allesamt in Zeiten niedriger Zinsen und des billigen Geldes entstanden, das in sichere Anlageformen mit überdurchschnittlich hoher Rendite fließt. Das Investment in Musikrechte scheint diese Anforderungen zu erfüllen. Vor allem die Rechte an Songs, die schon seit Jahren und Jahrzehnten bekannt und beliebt sind, können vielfältig für die Nutzung in Film, TV, Werbung und Games lizenziert werden. Radio-Airplay und andere Nutzungsformen sorgen dafür, dass über die Verwertungsgesellschaften zusätzliche Einkommensströme generiert werden. Die Musikstreamingstreaming-Ökonomie tut ein Übriges, um die Einkommenssituation der RechteinhaberInnen zu verbessern. Beliebte und häufige nachgefragte Musiktitel sorgen daher für relative konstante Einkommensströme und erfüllen damit die Renditeerwartungen der AnlegerInnen.

Das hat in den letzten Jahren zu einem Run auf besonders attraktive Musikkataloge geführt, um die sich die neuen Player wie Hipgnosis, Round Hill und Reservoir mit den Musik-Majors konkurrenzieren. Letztere haben wirtschaftlich sehr vom Streamingboom profitiert und können sich mit prall gefüllten Kriegskassen in die Übernahmeschlachten werfen, was die Preise für die Musikkataloge noch einmal in die Höhe getrieben hat. Eine Rolle spielen dabei natürlich auch die KünstlerInnen, die ihre Rechte veräußern. Vor allem die Superstars mussten aufgrund der COVID-19 bedingten Restriktionen im Livemusik-Business, massive Einkommenseinbußen hinnehmen. Dabei besannen sie sich anderer Assets ihres musikalischen Schaffens, auf die sie nun zurückgreifen, um ihren luxuriösen Lebensstandard aufrecht zu erhalten: Die Rechte an ihren Werken und Musikaufnahmen. Es mögen die Motive, warum Musikrechte verkauft werden, von KünstlerIn zu KünstlerIn unterschiedlich sein, was sie alle aber gemein haben ist, dass sie den Wert der ihnen zukommenden Musikrechte erkennen und folglich zu Geld machen.

An dieser Stelle muss noch klargestellt werden, dass es lediglich nach dem US-amerikanischem Digital Copyright Millenium Act möglich ist, sich seiner Rechte zu entäußern. In Europa ist der Verkauf von Rechten in der Form nicht möglich, aber es besteht die Möglichkeit, die Rechte exklusiv zu lizenzieren. Wenn also vom Musikrechtekauf gesprochen wird, dann bezieht sich das in erster Linie auf die USA.

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Welche Rechte werden gekauft?

Um welche Rechte handelt es sich, die gekauft werden? Grundsätzlich sind vorab einmal Verlags- und Masterrechte (Leistungsschutzrechte) zu unterscheiden. Der traditionelle Weg, um die Kontrolle über diese Rechte zu erlangen, war es, Musikverlage und Labels aufzukaufen. Diese Vorgangsweise findet sich auch in der gegenwärtigen Welle von Rechteakquisitionen wie der Kauf von Chrysalis Records durch Reservoir oder Carlin America durch Round Hill. Auf diesem Weg können auf einem Schlag sehr viele Musikrechte erworben werden, wobei, und das ist der Nachteil, der Kaufpreis sehr hoch sein kann. Außerdem übernimmt der Investor die Tätigkeit des aufgekauften Unternehmens und agiert wie ein klassischer Musikverlag bzw. wie ein Musiklabel.

Deshalb sind vor allem die neuen Player am Musikrechtemarkt dazu übergegangen, die Rechte direkt bei den KünstlerInnen zu erwerben. Das setzt natürlich voraus, dass die SongwriterInnen, ProduzentInnen und InterpretInnen ihre Rechte selbst kontrollieren und nicht an Verlage bzw. Labels vertraglich zur exklusiven Nutzung lizenziert haben. UrheberrInnen (AutorInnen und KomponistInnen) können in diesem Fall über ihre Rechte frei verfügen und in den USA sogar verkaufen. Dabei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Eine SongwriterIn kann 100 Prozent ihrer Urheberrechte lizenzieren bzw. verkaufen oder nur einen bestimmten Anteil und im Extremfall sogar nur einen Song. Da das Urheberrecht aus einem Bündel von Rechten besteht, kann sie selektiv auch einzelne Rechte durch Dritte verwerten lassen, indem nur die mechanischen Rechte an den Werken oder nur die Synchronisationsrechte an einem Song bzw.an einer Musikaufnahme veräußert werden.

Üblicherweise haben SongwriterInnen aber mit einem Verlag einen Verlagsvertrag zur Verwertung ihrer Musikwerke geschlossen und InterpretInnen sind meist exklusiv mittels Labelvertrag an ein phonografisches Unternehmen gebunden. Im Gegenzug erhalten sie eine Umsatzbeteiligung an allen Einnahmen aus der Verwertung. Sie verfügen aber trotzdem noch über den Autorenanteil, der über Verwertungsgesellschaften monetarisiert wird. Den KünstlerInnen steht aber frei, auch diesen Anteil zu verkaufen. Der Musikverlag Primary Wave hat dieses Marktsegment als erstes entdeckt und auf den Künstleranteil bei Masterrechten ausgeweitet. Schließlich ist es noch möglich, dass KünstlerInnen über das Urheberrecht hinaus weitere Rechte verkaufen wie z.B. Merchandisingrechte, Brandingrechte, Fotorechte etc.

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Die Schattenseiten des Booms am Musikrechtemarkt

Wie die Ausführungen belegen, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Musikrechte zu Geld zu machen, was zur Fragmentierung bzw. Verwässerung von Urheberrechten führt. Vor allem bei den ohnehin schon stark zersplitterten Urheber- und Verlagsrechten verursacht die Rechteabklärung durch RechtenutzerInnen höhere Transaktionskosten, weil erst einmal mühsam festgestellt werden muss, bei wem eigentlich die jeweiligen Rechte liegen. Dadurch dass Songs und Musikaufnahmen ein Monopol bezüglich der wirtschaftlichen Auswertung darstellen, besteht die Gefahr, dass die Lizenzentgelte für die Nutzung der Synchronisationsrechte für besonders bekannte Titel stark ansteigen könnten, weil sich mit den Einnahmen aus vergleichsweise wenigen beliebten Songs das Investment in die weniger populären Songs, die mitgekauft wurden, lohnen soll.

Das führt dazu, dass populäre Songs aus dem Backkatalog (Titel, die älter als 18 Monate sind) bei den Rechtekäufern wesentlich beliebter sind als neue, innovative Songs, die noch um die Gunst des Publikums ringen. Vor allem jene Player, die sich nicht mehr als klassische Musikverlage oder Labels verstehen und Musik als Anlage- bzw. Spekulationsgut betrachten, haben so gut wie kein Interesse, in die Schaffung neuer Musik zu investieren. Sie wollen lediglich das bereits bekannte und erfolgreiche Repertoire, das sie um viel Geld erworben haben, wirtschaftlich nach allen Regeln der Kunst auswerten, um für die AnlegerInnen die versprochenen Renditen zu erzielen.

Diese Sichtweise wird im Interview mit dem Round Hill-Gründer und früheren Investmentbanker, Josh Gruss, sichtbar, der auf die Frage von Tim Ingham von Music Business Worldwide, welches die Ingredienzien sind, die ein Investment in Copyrights attraktiv machen antwortet: „We’ve tried to focus on songs that are iconic. And a song can be iconic because it was a hit or because it’s wound its way into lots of different movies or TV shows – and what’s really great is when it’s a combination of the two. We own both Beatles songs and songs from the Motown era. These are hit songs that we all know and love but when you look at the royalty statements, especially the Motown ones, maybe only 20% of performing royalties come from radio – the rest comes from the fact that those songs are embedded in hundreds of movies and TV shows.“[8] Zweierlei wird in diesen Aussagen sichtbar und zwar, dass die „ikonischen“ Songs Basis des Geschäftsmodell von Round Hill sind und dass die Verwertung der Synchronisationsrechte in Film, TV und Werbung eine wichtige Einnahmequelle darstellt.

Das lässt sich auch durch die Geschäftsberichte des Hipgnosis Songs Funds untermauern. Im Finanzjahr 2021/22 lag der Anteil des Repertoires, das älter als 10 Jahre war, bei mehr als 50 Prozent. Rechnet man noch jene Songs dazu, die zwischen 3 und 10 Jahre alt waren, dann kommen wir auf mehr als 90 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss, dass neues Repertoire mit einem Alter von weniger als 3 Jahren, extrem unterrepräsentiert ist – ganz zu schweigen von aktuellen Songs, die noch nicht dem Backkatalog (Titel, die älter als 18 Monate sind) zugerechnet werden (Teil 4). Ähnlich ist die Situation beim Round Hill Music Royalty Fund. Lediglich 2 Prozent des Umsatzes fallen auf Songs, die in den 2020-er Jahren released wurden. Hingegen erzielt das Repertoire aus den 1960-er Jahren einen Umsatzanteil von 24 Prozent und insgesamt sind Musiktitel, die vor 2000 entstanden sind, für 69 Prozent der Einnahmen aus der Rechteverwertung verantwortlich (Teil 6).

Wenn also das Geschäftsmodell der neuen Musikrechteverwerter auf älterem Repertoire beruht, das noch dazu als Anlageform betrachtet wird, besteht die große Gefahr, dass es insgesamt zu einem Unterinvestment in die Schaffung neuer, innovativer Songs kommt, was letztendlich zu einer Kreativitätskrise in der Musikindustrie führen könnte. Vor allem der Musikstreamingboom sorgt dafür, dass der Backkatalog wertvoller geworden ist. Waren davor noch die aktuellen Hits die Umsatztreiber, so sind es jetzt vermehrt alte Songs, wie der unverwüstliche Weihnachtsklassiker „All I Want For Christmas Is You“ von Mariah Carey aus dem Jahr 1994, der seit Jahren im Dezember und Januar die Billboard Hot 100 Charts anführt.[9]

Ein weiterer Nebeneffekt der Rechteaufkäufe ist, dass die Tantiemeneinnahmen nicht mehr den KünstlerInnen zugutekommen, sondern den Rechteverwertungsunternehmen, die, wir gesehen haben, nicht nur die Master- und Verlagsrechte erwerben, sondern oft auch den AutorInnen-Anteil bei den Verlagsrechten und den InterpretInnen-Anteil bei den Leistungsschutzrechten. Die Einnahmen aus der Rechteverwertung dienen dann ausschließlich der Gewinnerzielung von Investmentfonds, um den AnlegerInnen eine entsprechende Rendite ausschütten zu können. In diesem Fall schützen die Urheberrechte nicht mehr die wirtschaftlichen Interessen der KünstlerInnen, weil die Partizipation an den Einkommensströmen aus der Rechteverwertung von den KünstlerInnen für eine Einmalzahlung aufgegeben wird. Es ist dann nur mehr die Frage, wie viel kann eine KünstlerInnen für ihre Rechte verlangen und werfen die Recht die gewünschte Rendite ab? Zwar bleiben etwaige Persönlichkeitsrechte von einem solchen Deal unberührt, aber die vermögensrechtlichen Befugnisse gehen den UrheberInnen verloren. Gerade für junge MusikerInnen könnte ein Rechteverkauf langfristig zu Einkommenseinbußen führen, weil sie den Wert ihrer Rechte falsch einschätzen. Wenn sie nicht genug aus dem Verkauf der Rechte lukrieren, profieren dann andere von einer Wertsteigerung und potenziell neuen Auswertungsmöglichkeiten.

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Fazit und Ausblick

Die aktuellen Rechteaufkäufe könnten nur ein Zwischenschritt sein, um Musikrechte zu einem handelbaren Gut und Spekulationsobjekt zu machen. Damit würden die Bowie-Bonds wieder aufleben, die der Künstler 1997 in den USA auf den Markt gebracht hat. Es handelte sich dabei um Anleihen, in denen die Rechte an Bowies Songs gebündelt wurden und den AnlegerInnen eine Fixverzinsung von jährlich 7,9 Prozent über einen Zeitraum von zehn Jahren zusicherte. Zwar konnte den InvestorInnen ihr Anlagekapital plus Verzinsung am Ende der Laufzeit der Anleihe ausbezahlt werden, aber die Rezession in der phonografischen Industrie, die um 2000 einsetzte, führte dazu, dass die Ratingagenturen die Bowie-Anleihe von einem anfangs Triple-A-Rating auf Baa3, als knapp über dem Ramschniveau, heruntergestuft haben.[10] Dann ist die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ausgebrochen, die diesem und ähnlich gelagerten Experimenten ein Ende setzte.

Ende 2021 feierten die Bowie-Bonds ihre Auferstehung in neuem Gewande. Die kanadische Anlageverwaltungsgesellschaft (private equity company) Northleaf Capital Partners kündigte im Dezember 2021 an, forderungsbasierte Wertpapiere (asset backed securities) im Umfang von US $303,8 Mio. auflegen zu wollen. Hinter den Wertpapieren steht ein Mix aus Verlags- und Masterrechten an 52.729 Musiktiteln aus dem Katalog der Spirit Music Group, darunter Songs vom Country- und Western-Star Tim McGraw und vom The Who Bandmitglied Pete Townshend.[11] Der Zugriff auf die Musikrechte wurde um US $500 Mio. im Rahmen einer strategischen Allianz mit dem Spirit Music Group-Eigentümer, Lyric Capital Group, im Oktober 2021 gesichert.[12]

Im Februar 2022 folgte der nächste Schlag, indem die Beteiligungsgesellschaft Kravis Kohlberg Roberts & Co. (KKR) über ihre Tochter Chord Music um US $1,1 Mrd. einen 65.000 Songs umfassenden Musikkatalog vom schwedischen Musikverlag Kobalt erworben hat, der nunmehr in Form forderungsbasierter Wertpapiere auf den Markt gebracht werden soll.[13]

Es ist also nur mehr eine Frage der Zeit, wenn andere Investmentfonds, die viel Geld in Musikrechte gesteckt haben, ganze Kataloge oder nur Teile davon benutzen, um Anleihe- oder ähnlich gelagerte Anlageprodukte mit verbindlichen Zinszusagen auf den Markt bringen. Damit werden Musikrechte zu einem leicht handelbaren Gut, das natürlich auch in dieser Form verkauft werden kann. Und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Songkataloge einzelner KünstlerInnen oder sogar einzelne besonders beliebte Songs könnten als Finanzprodukte designt und zum Kauf angeboten werden. Es ist sogar denkbar, dass sich eine Börse für Musikrechte etabliert, auf der Kataloge und Songs wie Aktien gehandelt werden. Dann können Sie ihr hart verdientes Geld z.B. in den unverwüstlichen Hit „Yesterday“ von den Beatles, auf Kurssteigerungen hoffend, investieren und nachsinnen, wie es gestern noch war, als Musik noch kein Anlage- und Spekulationsgut war.

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Blog-Serie „Musik als Investment“

Musik als Investment – Teil 1: Ein Überblick

Musik als Investment – Teil 2: BMG Rights Management

Musik als Investment – Teil 3: Primary Wave

Musik als Investment – Teil 4: Hipgnosis Songs Fund (1. Teil)

Musik als Investment – Teil 5: Hipgnosis Songs Fund (2. Teil)

Musik als Investment – Teil 6: Round Hill Music

Musik als Investment – Teil 7: SPACs

Musik als Investment – Teil 8: Reservoir Media Management

Musik als Investment – Teil 9: Ein Erklärungsansatz

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Endnoten

[1] Music Business Worldwide, Primary Wave buys music rights of Robby Krieger and Ray Manzarek of the Doors, in ‚monumental‘ deal, 23. Januar 2023, Zugriff am 27.01.2023.

[2] Music Business Worldwide, „Done deal: Justin Bieber sells catalog to Hipgnosis‘ Blackstone fund, 24. Januar 2023, Zugriff am 27.01.2023. Im Artikel wird auch ausgeführt, dass die Masterrechte weiter der Universal Music Group verbleiben und die Universal Music Publishing weiterhin auch die Verlagsrechte administriert.

[3] https://www.blackrock.com/de (Zugriff am 17.01.2023)

[4] https://www.influencemedia.com/ (Zugriff am 17.01.2023).

[5] https://www.kkr.com/de (Zugriff am 17.01.2023).

[6] https://www.blackstone.com/ (Zugriff am 17.01.2023).

[7] https://www.oaktreecapital.com/ (Zugriff am 17.01.2023).

[8] Music Business Worldwide, After spending nearly $250m on Carlin, Round Hill Music is hungry for more, 21. März 2018, Zugriff am 18.01.2023.

[9] Wikipedia, All I Want For Christmas Is You, o.D., Zugriff am 25.01.2023.

[10] Music Business Worldwide, The name’s bonds. Music bonds, 19. Oktober 2021, Zugriff am 27.01.2023.

[11] Music Business Worldwide, ‚Bowie bonds‘ are are back: Northleaf uses Spirit Music Group assets to raise $303.8m offering 20. Dezember 2021, Zugriff am 27.01.2023.

[12] Northleaf Capital Presseaussendung, Lyric Capital Group and Northleaf announce $500 million strategic alliance, 14. Oktober 2021, Zugriff am 27.01.2023.

[13] Music Business Worldwide, KKR bought a music catalog from Kobalt for $1.1bn. Now it’s turning it into bonds, 7. Februar 2023, Zugriff am 27.01.2023.

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