Wie der Titel „Informationsmarkt. Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen“ bereits verrät, geht es im Lehrbuch von Frank Linde (Fachhochschule Köln) und Wolfgang G. Stock (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) nicht nur um musikwirtschaftliche Fragestellungen, sondern um die gesamte Breite von Informationsgütern, wobei nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch soziologische, politologische, rechtliche und ethische Aspekte eingehend im 589 Seiten starken Band behandelt werden. Dieses Buch ist somit mehr als nur ein Lehrbuch für musikwirtschaftlich orientierte Lehrveranstaltungen, sondern ein umfassendes Kompendium für alle Ausbildungszweige zur digitalen Wissensgesellschaft.

Es würde daher den Rahmen dieses Blogs sprengen, wenn das Buch in seiner gesamten Fülle Gegenstand einer Rezension wäre. Ich möchte mich daher in der nachfolgenden Besprechung auf jene Teile beschränken, die sich mit für die Musikwirtschaft wichtigen Themen auseinander setzen.

Frank Linde und Wolfgang G. Stock: Informationsmarkt. Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. München: Oldenbourg Verlag 2011. ISBN: 978-3-486-58842-2, Preis: EUR 49,80

 

Frank Linde und Wolfgang G. Stock: Informationsmarkt.

Gehen wir eingangs gleich in medias res und zu Kapitel 12, das mit „Online-Musik und Internet-TV“ überschrieben ist. Darin wird ein kurzer Überblick über kommerzielle Online-Musikvertriebe geboten und aufgezeigt, wie sich die Digitalisierung auf das Wertschöpfungsnetzwerk in der Musikindustrie auswirkt. Die Online-Preispolitik wie auch Fragen des Digital Rights Management werden ebenfalls angeschnitten, wobei diese Themen ausführlich in anderen Kapiteln des Buches abgehandelt werden. Deswegen sollte sich die Enttäuschung in Grenzen halten, dass der digitalen Musikwirtschaft lediglich zwei Buchseiten gewidmet sind, weil das digitale Gut Musik quer durch die gesamte Arbeit ständig und ausführlich thematisiert wird.

Es lohnt sich also, das gesamte Buch zu lesen, um mehr über die digitale Ökonomie der Musikwirtschaft zu erfahren. Beispielsweise lohnt sich ein Blick in Abschnitt 1 „Propädeutik der Beschäftigung mit dem Informationsmarkt“, in dem Musik als Informationsgut und digitaler Content eingeordnet und beschrieben wird. Es wird zudem auf die ökonomischen Besonderheiten von Informationsgütern, die sich vor allem in Formen des Marktversagens ausdrücken, hingewiesen. Aufgezeigt wird zum einen der First-Copy-Cost-Effekt, also die Tatsache, dass bei der Herstellung der ersten Einheit eines digitalen Gutes (z.B. eines Masters in der Musikindustrie) hohe Fixkosten anfallen aber in weiterer Folge die Reproduktionskosten im Vergleich dazu extrem niedrig sind und gegen Null tendieren. Diese Erkenntnis ist wichtig, weil dadurch verständlich wird, dass vor allem die Bereitstellungs- und Übertragungskosten von digitaler Musik zu sehr niedrigen Kosten möglich ist, und sich das auch in der Preissetzung ausdrücken müsste. Zum anderen wird in diesem Abschnitt auch darauf hingewiesen, dass Informationsmärkte stets mit Informationsasymmetrien verbunden sind, was zu Adverse Selection und Moral Hazard führt und sich dementsprechend auch in spezifischen Vertragsformen – die Musikindustrie bietet dazu zahlreiche Anschauungsbeispiele – niederschlägt. Besonders wichtig sind zudem die Ausführungen zu direkten und indirekten Netzwerkeffekten von Informationsgütern, die sich aus dem öffentlichen Gutscharakter von Information – Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität – ergibt. Das führt in der Folge dazu, dass sich Informationsanbieter Mechanismen der (Teil)Privatisierung des Konsums von Information überlegen, die entweder technologisch (z.B. Markteinführung diverser Tonträger) und/oder mittels Rechtssetzung (z.B. Schaffung von Monopolen durch das Urheberrecht) erfolgt. Die ökonomischen Hintergründe zu all diesen Aspekten werden im Abschnitt 1 des Buches beschrieben.

Abschnitt 2 „Informationsgesellschaft“ beschäftigt sich mit soziologischen und politologischen Aspekten der Wissensgesellschaft wie verschiedene Formen des Informationsverhaltens, mit den Subkulturen der Hacker, Cracker und Crasher und auch mit dem Dark Web – Themen, die immer wieder auch bezüglich Musik-Filesharing auf Tapet kommen. In diesem Abschnitt geht es aber auch um Fragen des Informationsrechts und dabei natürlich auch um das Urheberrecht und neuartige Modelle wie Creative Commons Lizenzierung und Copyleft.

In den Abschnitt 3 „Digitale Informationsgüter“ fällt das oben bereits erwähnte Kapitel „Online-Musik und Internet-TV“. Es fügt sich damit ein in eine Übersicht über zahlreiche andere Informationsgüter wie z.B. Suchwerkzeuge, Web-2.0-Dienste, digitale Spiele, Software, Online-Werbung, die gerade im Verbund mit digitalen Musikdienstleistungen eine immer wichtigere Rolle spielen und deren Verständis höchst relevant für digitale Musik ist.

Der Abschnitt 4 „Wettbewerbstrategien von Informationsanbietern“ bietet ausgehend von der Analyse des strategischen Bezugsrahmens (Stichwort: Porters Branchenstrukturanalyse bzw. Wertkerte und Nalebuff/Brandenburgers Konzept der Wertnetze) Einblicke zum idealen Zeitpunkt eines Markteintritts (First-Mover- vs. Second-Mover-Vorteile), zum Kompatibilitätsmanagement und zur Standardisierung, zur Preisgestaltung digitaler Informationsgüter, zum Komplementen-Management und zum Kopierschutz-Management. Vor allem die drei letzt-genannten Aspekte spielen in der Musikwirtschaft eine wichtige Rolle, sodass sich ein vertiefender Blick ins Buch lohnt.

Gerade zur Preispolitik von digitaler Musik gibt es schon zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, die im Kapitel 18 „Preisgestaltung“ eingeflossen sind. Es wird auf das Pay-What-You-Want–Modell der Band Radiohead genauso eingegangen wie auch auf dynamische Preissetzungsmodelle. Besonders wichtig für digitale Musikprodukte sind die verschiedenen Formen der Preisdifferenzierung, z.B. Preisdifferenzierung ersten Grades durch Online-Auktionen oder die Preisdifferenzierung dritten Grade durch zielgruppenspezifische Preissetzung. Analytisch sehr genau beleuchtet werden vor allem die Formen der Preisdifferenzierung zweiten Grades, die auch für digitale Musikverkäufe höchst relevant sind. Wie das Windowing, wonach ein Anbieter zeitlich gestaffelt unterschiedliche Formen eines Musikprodukts verwertet oder das Versioning, indem verschiedene Produktvarianten zum Kauf angeboten werden. Sehr wichtig wurde zudem das Bundling, wonach Musikprodukte gemeinsam mit anderen digitalen Informationsgütern zu einem Paketpreis (z.B. Abos von ISPs) angeboten werden. Schließlich wird noch das Konzept „Follow-the-Free“ als Form der Preisdifferenzierung dritten Grades theoretisch reflektiert, wonach Produkte zuerst zu einem sehr niedrigen Preis oder gar gratis abgegeben werden, um Netzwerkeffekte zu erzeugen, die bei sinkenden Stückkosten dazu führen, dass durch spätere Preiserhöhungen die ursprünglichen Verluste mehr als wettgemacht werden können und somit auch Markteintrittsbarrieren aufgebaut werden. Es wird also in diesem Abschnitt des Buches belegt, dass es durchaus ökonomisch sinnvoll sein kann, Musik zu verschenken, wenn direkt oder indirekt über Netzwerkeffekte zusätzliche Einnahmen z.B. über Ticketverkäufe, Merchandising-Artikel, Werbegelder, Deluxe-Versionen, Abspielgeräte und unterstützende Dienstleistungen erzielt werden können.

Das führt direkt zum Kapitel 20 „Komplementen-Management“, in dem aufgezeigt wird, das Musik als quasi Software immer noch der Hardware der Musikwiedergabe bedarf. Es lassen sich also über Komplementärgüter wie z.B. MP3-Player, Mobiltelefone, Smart-Phones, Tabloids uä. positive, indirekte Netzwerkeffekte generieren, auch wenn für Musik wenig bis gar kein Geld mehr ausgeben wird.

Immer noch relevant für die Musikindustrie in das Thema Kopierschutz, dessen ökonomische Grundlagen in Kapitel 21 „Kopierschutz-Management“ besprochen werden. Es werden dabei die verschiedenen Schutztechnologien dargestellt und danach der ökonomische Trade-off zwischen dem Absatzrückgang und dem damit einhergehenden Verlust von Produzentenrente und dem Gewinn an Konsumentenrente durch positive Netzwerkeffekte bei dem Wegfall von DRM-Maßnahmen analysiert.

Interessant für die wirtschaftliche Verwertung von Musik ist auch das Signalising (Kapitel 22), das bei Erfahrungsgütern wie Musik erhebliche wirtschaftliche Implikationen aufweist. Gerade in der digitalen Welt sinkt die Bereitschaft, die „Katze im Sack zu kaufen“ und deshalb müssen Anbieter digitaler Musikprodukte bestrebt sein, vorab Qualitätssignale zu senden. Das kann direkt über Hörproben und positive Besprechungen und Bewertungen in Internetforen geschehen aber auch indirekt über den Aufbau starker Künstlermarken. Auf diese Weise können Werbeetats eingespart und Qualitätsmanagement betrieben werden.

Spannend ist auch das Thema „Lock-in-Management“ in Kapitel 23, da gerade die Vermarktung von digitalen Musikprodukten oft mit Exklusivangeboten verknüpft ist, die es den Kunden erschweren sollen, den Anbieter (z.B. Musikabo-Services) zu wechseln. Die Einsparung von Transaktionskosten auf Kundenseite soll in der Folge Kundenbindung erzeugen. Welche Mechanismen es dazu gibt – Aufbau einer installierten Basis (z.B. Audiostandards), Erzeugung von Wechselkosten (z.B. Verlust der Musikbibliothek bei Anbieterwechsel) sowie Ausnutzung eines Lock-in – werden ausführlich im Buch behandelt.

Hoch ist es den Autoren des Buches anzurechnen, dass sie sich nicht darum gedrückt haben, das heiße Eisen Filesharing bzw. Schwarzkopieren anzufassen. Sie haben dieser Problematik den gesamten letzten Abschnitt des Buches mit dem Titel „Der ‚illegale‘ Informationsmarkt: Schwarzkopien“ gewidmet und von der sonst üblichen Schwarz-Weißmalerei Abstand genommen und sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt, die in den letzten Jahre dazu gewonnen werden konnten. Dabei sind auch viele Studien zum Musik-Filesharing eingeflossen, die hier im Blog bereits ausführlich besprochen wurden.

Im Kapitel 24 „Mögliche Ursachen für Schwarzkopien“ wird auf die Motivlage der Filesharer genauer eingegangen, die in zahlreichen, empirischen Studien erhoben wurde. So kann geschlussfolgert werden, dass der typische Schwarzkopierer digitaler Musik jung und männlich ist und seine Neigung zum Schwarzkopieren mit dem Preis und der verfügbaren Bandbreite steigt. Zudem sinkt die Bereitschaft zum Schwarzkopien mit steigendem, verfügbaren Einkommen und mit der steigenden Verfügbarkeit attraktiver legaler Musikangebote im Netz.

Aus den empirischen Studien kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die ökonomischen Folgen des Schwarzkopierens, durchwegs negativ wären, wie in Kapitel 25 dargelegt wird. Neben der Erhöhung der Konsumentenrente durch das Schwarzkopieren, zeigen die Autoren, dass bei Berücksichtigung von indirekten Netzwerkeffekten die negativen Folgen des Substitionseffekts von Orginalen durch Schwarzkopien durch Marktentwicklungseffekte (auch Sampling-Effekte genannt) mehr als kompensiert werden können. Es wird damit der sehr verbreiteten Argumentationslogik, wonach das kostenlose Kopieren von Musik zu sinkenden Erträgen für die Label führt, weil eine Gratiskopie dem Original vorgezogen wird, empirisch sowie theoretisch widersprochen. Im Modell wird anschaulich gezeigt, dass Musikanbieter und Rechteinhaber von Filesharing wirtschaftlich durchaus profitieren können, wenn die Konsumentenpräferenzen ausreichend heterogen sind. Das führt zwar zur Umverteilung von Einkommen von der Superstars weg hin zu Newcomern und weniger bekannten Künstlern, nutzt aber der Musikindustrie insgesamt mehr als es schadet. Diese Erkenntnis kulminiert im letzten Satz des Fazits zu Kapitel 25: „Die negativen Effekte von Filesharing können nicht als bewiesen gelten. Ganz im Gegenteil ist es sogar möglich, dass die positiven Effekte überwiegen.“ (S. 564).

Im letzten Kapitel des Buches widmen sich die Autoren den strategischen Ansatzpunkten für den Umgang mit Schwarzkopien und betrachten dabei die zivil- und strafrechtlichen Maßnahmen, die gegen Filesharer und Betreiber von Filesharing/Filehosting-Netzwerken getroffen werden und in manchen Ländern zur Verabschiedung von so genannten „Three-Strikes“-Gesetzen geführt haben. Noch einmal wird auch auf technische Schutzmaßnahmen (DRM) Bezug genommen, die Frage der Providerhaftung andiskutiert und die Flutung von Filesharing-Netzwerken mit minderwertigen Kopien ökonomisch beleuchtet. Die Autoren zeigen aber auch Modelle jenseits der restriktiven Maßnahmen auf wie die Attraktivierung legaler Angebote und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle durch Verlängerung der Wertschöpfungskette oder das Angebot von werthaltigen Komplementärgütern wie Live-Events und Abspielgeräten.

Wie diese ausführliche Rezension des Buches zeigt, haben Frank Linde und Wolfgang G. Stock in ihrem Buch „Informationsmarkt“ erstmals einen umfassenden Überblick über die Besonderheiten digitaler Informationsgüter abgeliefert, der nicht nur Studierenden und Lehrenden des entsprechenden, wissenschaftlichen Disziplinen anempfohlen ist, sondern auch Praktikern der Informationswirtschaft und allen Interessierten, die die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten hinter der digitalen Ökonomie besser verstehen wollen. Sicherlich könnte an der einen oder anderen Stelle die Analyse ausführlicher und vertiefender ausfallen, was aber der Les- und Studierbarkeit des Buches wesentlich erschweren würde. Insgesamt ist es ein Werk, das alle Aspekte der Informationswissenschaft zu digitalen Gütern anspricht und ein ausgewogenes und wissenschaftlich sehr gut fundiertes Grundlagenwerk dieser Disziplin darstellt.

 

 

Frank Linde und Wolfgang G. Stock: Informationsmarkt. Informationen im I-Commerce anbieten und nachfragen. München: Oldenbourg Verlag 2011. ISBN: 978-3-486-58842-2, Preis: EUR 49,80.

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