Die Recording Industry Association of America (RIAA) hat vor kurzem die Verkaufsstatistik für den phonografischen Markt in den USA für das Jahr 2016 veröffentlicht. Die Zahlen belegen einen markanten Wandel vom Musikbesitz (in Form von CDs und Downloads) hin zum Zugang zur Musik (durch Streamingdienste). Die US-MusikkonsumentInnen haben das erste Mal mehr für werbe- sowie abo-finanzierte Musikstreamingangebote (US$ 3,9 Mrd.) ausgegeben als für CDs, Downloads und Klingeltöne (US$ 3,5 Mrd.)

 

Abbildung 1: Musikverkauf und Zugang zu Musik

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 1990-2016

 

Damit haben sich die USA im letzten Jahr in eine Musikstreaming-Ökonomie verwandelt. Es war allerdings ein langer Weg vom Tonträger-Musikbusiness der 1990er Jahre zum digitalen Musikmarkt, der vor allem vom Musikstreaming dominiert wird. Dieser Weg wird in der Folge nachgezeichnet und es werden dabei die dahinter liegenden Kräfte des Wandels genauer analysiert.

 

Der phonografische Markt in den USA, 1990-2016

Abb. 2 belegt eindrucksvoll, wie die CD die phonografischen Umsätze in den 1990er Jahren in die Höhe getrieben hat. Wurden 1990 in den USA mit Musikkassetten (US$ 3,47 Mrd.) mehr Umsatz als mit CDs (US$ 3,45 Mrd.) gemacht, so war die CD mit US$ 13,2 Mrd. zehn Jahre später die einzige Umsatzquelle für die phonografischen Unternehmen.

 

Abbildung 2: Der phonografische Markt in den USA, 1990-2016

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 1990-2016

 

Allerdings war ausgerechnet das Jahr 2000 auch der Wendepunkt für den US-Tonträgermarkt. Innerhalb von drei Jahren gingen 17,4 Prozent des Marktvolumens verloren. Es waren Jahre der Desorientierung, ja sogar der Panik. Die VertreterInnen der damaligen Tonträgerindustrie fürchteten, dass das Filesharing à la Napster Musik zu einem öffentlichen und frei zugänglichen Gut machen könnte, das nicht mehr monetarisierbar wäre. In dieser Phase musste Apples iTunes-Downloadshop wie ein Rettungsring vor dem Ertrinken gewirkt haben. Die Plattenfirmen – allen voran die Majors – warfen sich in die Arme von Steve Jobs wachsendem Imperium und lieferten somit den im Entstehen begriffenen Musikdowload-Markt der Apple Inc. aus.

Trotz des erklärten Krieges gegen Filesharing-Plattformen und einem wachsenden Musikdownload-Markt, beschleunigte sich die Rezession am phonografischen Markt. Von 2003 bis 2010 sanken die gemeinsamen Umsätze aus physischen und digitalen Verkäufen um 44,7 Prozent von US$ 11,9 Mrd. auf lediglich US$ 6,6 Mrd.

Bevor aber die Downloadumsätze den Markt zu dominieren begannen, waren es die Klingelton-Verkäufe, die das Wachstum des Digitalmarktes bestimmten. 2007 war der Klingeltonmarkt mit US$ 880,8 Mio. das größte Digitalmarktsegment, noch vor dem Single-Track-Downloadmarkt mit US$ 801,6 Mio. Im darauffolgenden Jahr erreichten die Klingelton-Umsätze ihren historischen Höchststand, um danach an wirtschaftlicher Relevanz einzubüßen. Die Downloadumsätze konnten allerdings ab 2010 den phonografischen Markt in den USA auf niedrigem Niveau stabilisieren. 2011 war der digitale Musikmarkt mit US$ 3,55 Mrd. erstmals größer als der Tonträgermarkt (US$ 3,38 Mrd.). In diesem Jahr war der Umsatz, der mit CD-Alben in den USA gemacht wurde, bereits um 76,5 Prozent niedriger als im Jahr 2000.

 

Abbildung 3: Der digitale Musikmarkt in den USA, 2004-2016

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 2004-2016

 

Obwohl die RIAA schon seit 2004 auch Einnahmen aus dem Musikstreaminggeschäft berichtete, waren diese bis 2011 wirtschaftlich noch unbedeutend. In diesem Jahr wurden von der RIAA erstmals auch die Ausschüttungen von SoundExchange – jener US-Verwertungsgesellschaft, die Lizenzzahlungen von nicht-interaktiven Streamingservices wie z.B. Pandora und Satellitenradios einsammelt – ausgewiesen. Die SoundExchange-Ausschüttungen plus die Einnahmen von werbe- und abo-finanzierten Streamingangeboten verdreifachten sich somit von US$ 212,4 Mio. im Jahr 2010 auf US$ 651,2 Mio. ein Jahr später. In den folgenden Jahren wurde Musikstreaming zum wichtigsten Umsatztreiber im digitalen Musikmarkt. Während die Single-Track-Downloadumsätze 2012 mit US$ 1,62 Mrd. ihren historischen Höchstwert erreichten, was bei den Alben-Downloads ein Jahr später mit US$ 1,23 Mrd. der Fall war, lag die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Einnahmen aus dem Musikstreaming (inkl. SoundExchange-Ausschüttungen) von 2011-2015 bei 71,9 Prozent.

2016 war nunmehr das Wendejahr für den phonografischen Markt in den USA. Der Streamingumsatz hat sich im Vergleich zum Vorjahr um weitere 68,5 Prozent auf US$ 2,33 Mrd. erhöht und hat dazu geführt, dass die Unternehmen der phonografischen Industrie erstmals mehr mit dem Musikzugang als mit Musikverkäufen (Abb. 1) verdient haben.

2016 trugen werbe- und abo-finanzierte Streamingdienste bereits 52,8 Prozent zum digitalen Musikmarkt in den USA bei. Die SoundExchange-Ausschüttungen von nicht-interaktiven Streamingservices (z.B. Pandora) und Satellitenradios (z.B. Sirius Satellite Radio) machten einen weiteren Anteil von 15,3 Prozent aus. Musikstreaming dominierte somit den US-Digitalmarkt mit einem Anteil von 68,1 Prozent im Vergleich zum Downloadmarkt (Single-Track und Alben) mit 30,9 Prozent sowie anderen digitalen Musikformaten (inkl. Klingeltönen) mit rund 1,0 Prozent.

 

Abbildung 4: Der US-Digitalmusikmarkt 2016

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresbericht 2016

 

Allerdings stammen die Streamingumsätze aus unterschiedlichen Quellen, die die RIAA erstmals differenziert ausweist. Der US-Musikindustrieverband unterscheidet dabei zwischen Einnahmen aus Bezahl-Abos (e.g. von Spotify und Apple Music), zeitlich begrenzten Bezahl-Abos (z.B. von Spotify), von werbefinanzierten On-Demand-Streamingangeboten (z.B. Spotifys Gratisversion), anderen werbefinanzierten Streamingangeboten (z.B. YouTube) und weist extra auch noch die SoundExchange-Ausschüttungen (z.B. von Pandora) für 2015 und 2016 aus. Der Jahresvergleich bildet dabei den Wandel vom werbe- zum abo-finanzierten Musiksreaming ab. Rechnet man die SoundExchange-Ausschüttungen, die meist von werbefinanzierten Angeboten stammen, zu den Gratisangeboten hinzu, so generierten diese 2015 noch knapp mehr als 50 Prozent aller Streaming-Einnahmen. Ein Jahr später ist der werbefinanzierte Anteil auf 37 Prozent gesunken, obwohl die Einnahmen aus dem werbefinanzierten Angeboten um 23,7 Prozent von US$ 1,18 Mrd. auf US$ 1,45 Mrd. gewachsen sind. Im gleichen Zeitraum sind aber die Einnahmen aus den Abo-Angeboten um 113,9 Prozent von US$ 1,16 Mrd. auf US$ 2,48 Mrd. gestiegen.

 

Abbildung 5: Der US-Musikstreamingmarkt 2015 und 2016

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 2015-2016

 

Diese Zahlen sind ein erster Hinweis dafür, dass die US-MusikkonsumentInnen nachhaltig das Bezahlabo-Modell angenommen haben und sich die USA Richtung Streamingökonomie bewegen, wo die skandinavischen Länder, vor allem Schweden, sich bereits befinden. Wir können daher davon ausgehen, dass sich die Umsatzrückgänge bei den CD- und Download-Verkäufen fortsetzen werden, die allerdings durch steigende Einnahmen aus dem Streaminggeschäft kompensiert werden könnten. Und wenn sich die Vinyl-Renaissance fortsetzt, wird die LP bald einen gleich hohen Marktanteil haben wie die CD, wobei beide Formate bestenfalls Marktnischen für Audiophile und SammlerInnen sein werden.

Die USA sind also 2016 zu einer Musikstreaming-Ökonomie geworden, in der der Zugang zur Musik jederzeit und von jedem Ort aus das Musikkonsumverhalten bestimmt. Das impliziert aber auch, dass die traditionelle Unterscheidung zwischen Alben- und Singleformaten allmählich obsolet wird, weil diese Differenzierung im Musikstreaming bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielt.

 

Abbildung 6: Musikstreamingeinnahmen im Vergleich zu Single- und Albenverkäufen in den USA, 1990-2016

Quelle: RIAA Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 1990-2016

 

Zusammenfassung

Auf Basis der RIAA-Statistiken können wir folgende Phasen für den phonografischen Markt in den USA identifizieren:

1990-1999: Der CD-Boom prägte den phonografischen Markt und die CD wurde zum fast alleinigen Umsatzträger.

2000-2003: Die CD-Verkäufe erreichten im selben Jahr ihren historischen Höchststand als Napster mit seinem Filesharing-Angebot das traditionelle Musikbusiness herausforderte. In einer Übergangsphase von 2000-2003 sanken die Tonträgerumsätze um 17,4 Prozent bis Apple seinen iTunes-Downloadshop allgemein zugänglich machte.

2004-2009: Nach einem kurzfristigen Umsatzanstieg im Jahr 2004, wurde der phonografische Markt in den USA von der Rezession hart in Mitleidenschaft gezogen, obwohl sich das Geschäft mit Klingeltönen und Musikdownloads gut entwickelte.

2010-2015: Die Musikdownload-Verkäufe konnten den phonografischen Markt auf einem niedrigen Niveau von rund US$ 7 Mrd. stabilisieren. 2010 wurden mit dem Musikstreaming erstmals relevante Einnahmen erzielt, die in den Folgejahren sprunghaft anstiegen.

2016 markiert eine neue Ära. Zum ersten Mal haben die US-MusikkonsumentInnen mehr für den Musikzugang (durch Streamingservices) als für den Besitz von Musik (in Form von digitalen und Tonträgerformaten) ausgegeben. Es kann daher gesagt werden, dass sich das phonografischen Musikbusiness in den USA 2016 in eine Musikstreaming-Ökonomie verwandelt hat, in der der Zugang zur Musik jederzeit von jedem Ort aus das Musikkonsumverhalten prägt.

 

Quellen

Recordings Industry Association of America, Year-End Industry Shipment and Revenue Statistics, Jahresberichte 1990-2016

 

 

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..