In dem jüngst erschienen Buch von Dean Budnick und Josh Baron “Ticket Masters. The Rise of the Concert Industry and How the Public Got Scalped” wird das erste Mal ausführlich die Geschichte des modernen Live-Musikbusiness anhand des Aufstiegs der beiden Hauptakteure – Ticketmaster und Live Nation – nacherzählt. Dabei gewinnt die Leser/innen einen tiefen Einblick in die Funktionsweise des Netzwerks von Konzertveranstaltern, Ticketing-Unternehmen und Künstleragenturen und wie sich dieses Netzwerk über die Jahrzehnte hinweg gewandelt hat. Im dritten Teil der Zusammenfassung des Buches wird nacherzählt, wie zu unterschiedlichen Zeiten mehr oder weniger erfolgreich von einigen Bands versucht wurde, das Ticketmaster-Monopol herauszufordern bzw. zu umgehen.

 

Nach der Akquisition von Ticketron im Jahr 1991 konnte Ticketmaster eine nahezu monopolistische Marktposition am US-Ticketingmarkt einnehmen. Der Schlüssel dazu waren die exklusiven Verträge mit den Konzerthallenbetreibern und Konzerveranstaltern quer über die USA hinweg. Die ersten, die an diese Marktbarriere stießen, waren die Kultband Grateful Dead. Im Kapitel 4 “A Bunch of Wholly Freaks” (S. 91-113) erzählen Budnick und Baron, wie das von der Band 1983 etablierte Konzertkarten-Mailordersystem – Grateful Dead Ticketing Service (GDTS) – auf Unmut bei den Ticketmaster-Verantwortlichen stieß. GDTS war ursprünglich gegründet worden, um der außergewöhnlich treuen Fangemeinde der Band, den so genannten Dead Heads, eine einfache Möglichkeit zu bieten, über Postversand unbürokratisch und direkt an gute Konzertkarten zu kommen. Auf diese Weise wurden 50 Prozent der Karten direkt über die Band verkauft und die anderen 50 Prozent über den Veranstalter bzw. über dessen Ticketing-Partner. Das war seit den späten 1990er Jahren aber immer öfter Ticketmaster, das aufgrund der exklusiven Verträge mit den Veranstaltern i.d.R. das gesamte Kartenkontingents kontrollieren wollte. Die Mailorder-Praxis der GDTS war Ticketmaster somit ein Dorn im Auge, den es zu beseitigen galt. Ticketmaster forderte mit Verweis auf die exklusiven Verträge mit den Veranstaltern von der Band ultimativ die Einstellung des bandeigenen Kartenvertriebs. Mit dieser Forderung biss der Ticketingkonzern aber beim Band-Management auf Granit. Auch ein Kompromissangebot, wonach GDTS 10% des Kartenkontingents in Eigenregie verkaufen dürfte, wurde von der Band entrüstet zurück gewiesen. Ticketmaster hatte sich in diesem Fall verkalkuliert. Die Grateful Dead waren und sind bis heute vor allem eine Live-Band mit einen riesigen Anhängerschaft, vor allem in den USA. Kein Konzertveranstalter ab einer bestimmten Größe konnte auf diesen Live-Act so ohne weiters verzichten. So übten diese Druck auf Ticketmaster aus, gegenüber der Band einzulenken und deren Forderungen nach einem 50:50-Split zu akzeptieren. Ticketmaster gab schließlich nach und gestand den Grateful Dead zu, die Hälfte ihrer Konzertkarten selbst zu verkaufen. Der Preis dafür war, dass zwischen der Band und Ticketmaster Stillschweigen über diese Einigung vereinbart wurde, um andere Acts nicht auf ähnliche, gefährliche Gedanken zu bringen.

Diese Niederlage kompensierte Ticketmaster durch die Festigung seiner Marktposition, indem lästige Konkurrenten entweder aus dem Markt gedrängt wurden oder – wie im Fall von Ticketron – einfach aufgekauft wurden: Ticket World USA (1985), Capital Automated Ticketing (1989), Dayton’s Ticketing (1989) and SEATS (1990) (S. 134).

Trotz oder vielleicht gerade wegen des Ausbaus der Marktmacht, sah sich Ticketmaster immer öfter mit dem Vorwurf konfrontiert, schuld an den steigenden Kartenpreise aufgrund der hohen Servicegebühren zu sein. Insbesondere Bands, die eine Niedrigpreispolitik gegenüber ihren Fans umsetzen wollten, stießen sich an den Praktiken des allgegenwärtigen Ticketingunternehmen. Zur Speerspitze des Widerstandes wurde in den 1990er Jahren die Grunge-Band Pearl Jam, die nach dem Vorbild der Grateful Dead versuchte, Ticketmaster über ein hauseigenes Mailorder-System zu umgehen. Der Konflikt zwischen Pearl Jam und Ticketmaster eskalierte, als Pearl Jam 1994, kurz nachdem sich Nirvana-Leadsänger Kurt Cobain das Leben genommen hatte, ihre US-Tour absagten, und die Schuld dafür den hohen Serviceaufschlägen von Ticketmaster auf die Konzertkartenpreise gaben (S. 122). Es wäre wohl bei einer vorübergehenden Verstimmung zwischen dem Ticketing-Unternehmen und der Band geblieben, wenn nicht das U.S. Justizministerium von sich aus an Pearl Jam herangetreten wäre, um die Bandmitglieder für eine Zeugenaussage in einem öffentlichen Kongresshearing zu gewinnen, in dem Ticketmaster vorgeworfen wurde, seine Marktposition missbräuchlich eingesetzt zu haben.

Im Kapitel 4 “Rumble in the Jungle” (S. 114-153) rekonstruieren die Autoren anhand der Protokolle die Anhörungen vor Ausschüssen des Repräsentantenhauses sowie des Senats sehr detailliert. Die Kritiker von Ticketmaster, allen voran die Mitglieder von Pearl Jam aber auch Manager anderer namhafter Bands, wiesen in ihren Aussagen auf die gleichsam monopolistische Position des Ticketkonzerns hin, ohne den es nahezu unmöglich sei, eine große Konzerttournee in den USA zu absolvieren, da so gut wie alle Hallen und Stadien sowie die wichtigen Veranstalter exklusiv an Ticketmaster gebunden wären. Ticketmaster-CEO Fred Rosen hielt dagegen, dass es im US-Ticketmarkt ausreichend Wettbewerb gäbe. Als Beleg zitierte er eine von Ticketmaster in Auftrag gegebene Studie, wonach von den 1,5 Milliarden Tickets, die in den USA jährlich für Live-Events verkauft wurden, lediglich 51 Millionen auf Ticketmaster entfielen (S. 136). Was Rosen aber verschwieg, war, dass diesen Zahlen die breitest mögliche Definition des Ticketmarktes zugrunde gelegt worden war, die nicht nur Sport- und Musikveranstaltungen umfasste, sondern auch Museen, Vergnügungsparks, die US-Nationalparks und sogar regionale und lokale Messeveranstaltungen. Budnick und Baron zitieren dem gegenüber eine Studie des angesehenen US-Branchenmagazins Pollstar, in dem Ticketmaster für das Jahr 1994 nachgewiesen wird, dass es mit 63,2 Prozent der Konzertveranstaltungsstätten in den USA exklusive Ticketing-Verträge abgeschlossen hatte und darüber hinaus für einen Großteil der vertraglich nicht gebundenen Konzerthallen und -arenen ebenfalls das Ticketing abwickelte (S. 136).

Trotz dieser schwer von der Hand zu weisenden Fakten, war es für das US-Justizministerium, das durchaus sehr sorgfältig und kritisch die Untersuchungen gegen Ticketmaster führte, schwierig, ausreichend Beweise für ein Kartellverfahren vor Gericht zusammen zu tragen (S. 147). Für die Öffentlichkeit überraschend, wurde daher am 5. Juli 1995 das Antitrust-Verfahren gegen Ticketmaster eingestellt. Budnick und Baron sehen vor allem zwei Gründe für die Verfahrenseinstellung: (1) Ticketmaster konnte nicht nachgewiesen werden, dass es Druck auf die Konzertveranstalter und Betreiber der Veranstaltungsstätten ausgeübt hätte, um langfristige Exklusivverträge abzuschließen. Ganz im Gegenteil. Die Untersuchungen förderten zutage, dass die Konzertveranstalter nur allzu bereitwillig die Verträge unterschrieben, um in den Genuss der beträchtlichen Vorschüsse, die Ticketmaster leistete, zu kommen; (2) war es diffizil, den relevanten Markt korrekt abzugrenzen. Ticketmaster besorgte nicht nur das Ticketing für Pop- und Rockmusikveranstaltungen, sondern war auch für Sportveranstalter sowie für andere Unterhaltungsevents tätig. Eine Beschränkung auf den Live-Musikmarkt hätte vor Gericht nicht gehalten, so die Vermutung von juristischen Insidern (S. 149). So verliefen die kartellrechtlichen Untersuchungen des Justizministeriums im Sande, obwohl in der Öffentlichkeit die Meinung vorherrschte, dass Ticketmaster gerichtlich wegen kartellrechtlicher Vergehen zur Verantwortung gezogen werden sollte.

Eine ähnlich gelagerte Klage des Ticketmaster-Konkurrenten Tickets.com im Jahr 2003 blieb ebenfalls folgenlos. Tickets.com hatte vor Gericht vergeblich versucht, die Monopolposition des Ticketingkonzerns mit empirischen Daten zu belegen. Der von Tickets.com beauftragte Sachverständige rechnete dem Gericht vor, dass 31 von 41 der Stadien exklusiv an Ticketmaster gebunden wären und somit 75 Prozent der verfügbaren Tickets über dessen Ticketsystem verkauft werden würden. Zusätzlich läge der Marktanteil von Ticketmaster bei regionalen Veranstaltungsstätten bei 90 Prozent (S. 148). Das Gericht entschied aber ähnlich wie das Justizministerium acht Jahre zuvor: Die Betreiber der Veranstaltungsstätten und die Veranstalter seien willentlich und freiwillig die Verträge mit Ticketmaster eingegangen und wären nicht durch den Ticketingkonzern dazu gezwungen worden.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als dieses Gerichtsurteil veröffentlicht worden war, forderte die in Colorado beheimatete Band, String Cheese Incident, Ticketmaster erfolgreich heraus. Das gesamte Kapitel 9 „A Quiet Victory” (S. 251-271) beschäftigt sich mit dem Kampf der Band gegen Ticketmaster, der ähnlich gelagert wie jener zuvor von den Grateful Dead und Pearl Jam war. Der Konflikt entzündete sich daran, dass String Cheese Incident die kleine Firma SCI Ticketing beauftragt hatte, ihre Konzertkarten mit einem sehr niedrigen Serviceaufschlag online zu verkaufen. SCI Ticketing bediente sich dabei der TicketWeb-Plattform im Internet, die aber 2000 um US$ 35,2 Millionen von Ticketmaster gekauft worden war (S. 252-253). Im Mai 2002 hatte Ticketmaster seinen exklusiven Vertragspartnern mitgeteilt, dass es keine direkten Künstler-Fan-Ticketingbeziehungen außerhalb „legitimer“ Fanclubs mehr dulden würde. Als „legitime“ Fanclubs definierte Ticketmaster jene, für die die Mitglieder einen Jahresbeitrag von mindestens US$ 15 leisten und bei denen eine „bedeutende“ Interaktion zwischen Band und Fans besteht. Diese vorausgesetzt, durfte der Fanclub nicht mehr als vier Konzertkarten pro Person unter der Auflage eines Weiterverkaufverbots veräußern (S. 260).

Diese Bedingungen konnten String Cheese Incident nicht erfüllen und so versuchte die Band, ihre Konzertauftritte abseits der von Ticketmaster kontrollierten Veranstaltungsstätten zu bestreiten. Dies stellte sich als ein schwieriges Unterfangen heraus, da so gut wie alle Veranstalter ab einer bestimmten Größe exklusiv mit Ticketmaster verbunden waren.

Als der angesehene E-Commerce- und Kartellrechtsanwalt, Neil Glazer, von der misslichen Lage der Band hörte, begann er sich eingehend mit dem Fall zu beschäftigen. Von sich aus trat der an das Band-Management mit dem Vorschlag heran, Ticketmaster auf Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung zu verklagen (S. 261). Mit finanzieller Unterstützung eines anonym bleibenden Geldgebers reichte SCI Ticketing am 3. August 2003 Klage ein. In der Klagschrift führte Glazer aus, dass Ticketmaster exklusive Vereinbarungen mit 89 Prozent der Top-50 Arenen, mit 88 Prozent der Top-50 Amphitheater, mit 70 Prozent der Top-Theater und 75 Prozent mit den Top-Clubs in den USA eingegangen war, was als deutlicher Beleg für ein Monopol im Ticketmarkt zu werten sei. Ticketmaster würde aber nicht nur ein Monopol anstreben, sondern auch seine marktbeherrschende Stellung gemäß des Sherman Acts missbrauchen, wie die Fanclub-Regelung belege (S. 263-264).

Ticketmaster wies die in der Klage erhobenen Vorwürfe heftig von sich und antwortete mit einer Gegenklage, in der SCI Ticketing vorgeworfen wurde, vertragliche Beziehungen zum wirtschaftlichen Nachteil von Ticketmaster zu stören (S. 265). Gleichzeitig fürchtete Ticketmaster aber auch eine negative Publicity, nachdem sowohl die New York Times als auch das Rolling Stone Magazine die Story gecovert hatten. Still und heimlich trat das Ticketingunternehmen an das Band-Management mit dem Vorschlag heran, dass String Cheese Incident 50 Prozent der Konzertkarten nach eigenem Gutdünken verkaufen könnte, wenn die Klage fallen gelassen werden würde. Zusätzlich wurde SCI Ticketing zugestanden, für andere Acts zumindest 10 Prozent des Kartenkontigents zu selbst bestimmten Konditionen absetzen zu dürfen. Allerdings sollten weder SCI Ticketing noch das Band-Management in der Öffentlichkeit über die außergerichtliche Einigung Auskunft geben dürfen (S. 266-267). Da String Cheese Incident durch das Angebot von Ticketmaster alle seine Forderungen erfüllt sah, ging die Band bzw. ihr Ticketingunternehmen auf den Vergleich ein und durfte sich im Stillen an einem Sieg über einen übermächtig erscheinenden Gegner erfreuen.

Für Ticketmaster hatte der String Cheese Incident Fall gezeigt, dass seine Beziehungen zu den Künstlern verbesserungswürdig wären. Dies beförderte sicherlich die Entscheidung,2004 inIrving Azoffs Front Line Künstlermanagementagentur zu investieren (S. 271). Damit wurde der erste Schritt zu einer vollkommenen Umgestaltung des Live-Musikbusiness gesetzt, die im Zusammenschluss des weltweit größten Ticketing-Unternehmens mit dem weltweit größten Konzertveranstalter sowie einer der weltweit größten Künstleragenturen mündete. Das Ergebnis war LiveNation, dessen Entstehungsgeschichte aber erst im sechsten und letzten Teil dieser Serie genauer beleuchtet werden wird.

 

Im nächsten und vierten Teil wird Entstehung des Online-Ticketing und die Etablierung von Wiederverkaufsplattformen für Konzertkarten im Internet dargestellt.

Budnick Dean and Josh Baron, 2011, Ticketmasters. The Rise of the Concert Industry and How the Public Got Scalped. New York: ECW Press. ISBN 978-1-55022-949-3, EUR 18.99.

Ein Gedanke zu “Ticket Masters – Teil 3: Die Herausforderer des Ticketmaster-Monopols – The Grateful Dead, Pearl Jam und String Cheese Incident

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