In dem jüngst erschienen Buch von Dean Budnick und Josh Baron “Ticket Masters. The Rise of the Concert Industry and How the Public Got Scalped” wird das erste Mal ausführlich die Geschichte des modernen Live-Musikbusiness anhand des Aufstiegs der beiden Hauptakteure – Ticketmaster und Live Nation – nacherzählt. Dabei gewinnt die Leser/innen einen tiefen Einblick in die Funktionsweise des Netzwerks von Konzertveranstaltern, Ticketing-Unternehmen und Künstleragenturen und wie sich dieses Netzwerk über die Jahrzehnte hinweg gewandelt hat.

In den folgenden sechs Blog-Beiträgen möchte ich „Ticket Masters“ nacherzählen und beginne im Teil 1 mit der Geschichte, wie die Einführung der Computertechnologie im Ticketing das Konzertwesen insgesamt revolutionierte.

 

 

Den Ursprung des modernen Live-Musikbusinesses, so wie wir es heute kennen, können wir bis in die späten 1960er Jahre zurückverfolgen. In den Jahrzehnten davor wurde der Konzertkartenvertrieb direkt von den Veranstaltern an den Kassen oder über Mail-Order sowie indirekt über registrierte Kartenbüros abgewickelt, wobei diese für ihre Serviceleistungen eine Bearbeitungsgebühr in der Höhe von $1,50 erhielten, die auf den Kartenpreis aufgeschlagen wurde (S. 19). Es war aber eine zeitraubende und auch kostspielige Angelegenheit, die verkauften und auch unverkauften Eintrittskarten bei den Konzertbüros zu registrieren, einzusammeln und abzuzählen, um den Ertragsanteil für die auftretenden Künstler/innen ermitteln zu können.

Das elektronische Ticketing erleichterte in dieser Hinsicht nicht nur die Art und Weise, wie Konzertkarten verkauft wurden, sondern lieferte auch wertvolle demographische über die Kartenkäufer. Dennoch war die Einführung der Computertechnologie im Ticketing alles andere als ein Erfolgsgeschichte und war begleitet von vielen Fehlschlägen und Unternehmenspleiten, die Budnick & Baron in den ersten beiden Kapiteln ihres Buches – “A Few Reservations” (S. 1-26) and “Put Your Seats in Our Hands” (S. 27-54) nachzeichnen.

Das allererste Unternehmen, das sich mit automationsgestütztem Ticketing auseinander gesetzt hat, waren die Ticket Reservation Systems (TRS), die Mitte 1967 in New York City damit begonnen haben, Karten für die Broadway-Shows per Computer zu verkaufen. Finanziert wurde das Unternehmen vom Cemp Investment Fund, über den das Familienvermögen der kanadischen Destillationsdynastie Bronfman vermehrt werden sollte. Vorsitzender des Fonds was Edgar J. Bronfman sen., der die US-Niederlassung von Seagram in New York City leitete. Das war noch vor jener Zeit, als sein Sohn Edgar jun., Seagram in den Unterhaltungskonzern Universal umwandeln sollte. Aber schon Edgar J. Bronfman sen. war als Investor für Film- TV- und Broadway-Musical-Produktionsfirmen in der Unterhaltungsbranche aktiv. Dabei war Bronfman auf die Probleme des Kartenvertriebs aufmerksam geworden, und hatte die Vision ein vollkommen computer-basierten Ticketingsystems entwickelt (S. 5). Diese Vision nahm in Form der Ticket Reservations Systems (TRS) 1965 Gestalt an, wobei anfangs kein nachhaltiger Businessplan existierte. Erst als der Computer- und Marketingexperte Jack Quinn 1967 die Verantwortung bei TRS übernahm, konnten die technischen und logistischen Probleme überwunden werden. Quinn überredete Konzertveranstalter in New York City, einen Teil ihres Kartenkontingents computergestützt über Hotels, Banken und Kaufhäuser veräußern zu lassen. Dafür wurde eine Bearbeitungsgebühr von 25-50cents auf den Kartenpreis aufgeschlagen, die zur Hälfte an die Betreiber der Endverkaufsstellen floss. Weitere 25cents wurden bei den Auftraggebern – Broadway-Theatern, Konzertveranstaltern und Sportvereinen –, die das System nutzten, eingehoben. Zusätzlich mussten die Betreiber der Kartenverkaufsstellen eine monatliche Miete für jeden Computerterminal in der Höhe von $150 entrichten, und es war eine monatliche Servicegebühr zu zahlen, die, abhängig von der Sitzplatzkapazität der Veranstaltungshalle, zwischen $500 und 1.000 ausmachen konnte (S. 10).

Trotz der medialen Aufmerksamkeit, die TRS erzielen konnte, erwies sich das elektronische Ticketing als Verlustgeschäft. Im Sommer 1969 entschloss sich Seagram einen 51%-Anteil an TRS um $3,9 Millionen an die Control Data Corp. zu verkaufen, die die Hard- und Software für das elektronische Ticketing bereitgestellt hatte. TRS wurde in der Folge umstrukturiert und stark verkleinert unter dem neuen Firmennamen Ticketron weiter betrieben.

Ein Grund für die schlechte wirtschaftliche Performance von TRS war das Auftreten eines Konkurrenten an der US-Westküste. Im Juli 1967 hatte die in Kalifornien ansässige Computer Science Corporation (CSC) das elektronische Kartenvertriebsservice Computicket der Öffentlichkeit vorgestellt. Computicket war vom Geschäftsmodell her TRS sehr ähnlich. Die beiden Pioniere des elektronischen Tickets versuchten im harten Kampf um Marktanteile den Konkurrenten möglichst rasch aus dem Geschäft zu drängen. Im blindwütigen Akquirieren von Kunden überspannten beiden Unternehmen ihre finanziellen Kräfte. Computicket ging zuerst die Luft aus, nachdem innerhalb der ersten 18 Monate der Geschäftstätigkeit $12,7 Millionen fehlinvestiert worden waren (S. 25). 1970 musste Computicket seine Aktivitäten einstellen, was aber nichts daran änderte, dass Ticketron unrentabel blieb. Trotz der Verluste entschied sich der Mehrheitseigentümer Control Data die Geschäfte weiter zu führen und erwarb 1973 sogar noch die restlichen 49% von Bronfmans Investment-Vehikel Cemp (S. 26).

Obzwar der ruinöse Wettbewerb zwischen beiden Ticketing-Unternehmen auch deren wirtschaftliche Malaise mit verursacht hat, sehen die beiden Autoren den Hauptgrund des Scheiterns in der Tatsache, dass die Kunden (Kartenverkäufer) nur bereit waren, 30-50% ihres Kartenkontingents über Ticketron bzw. Computicket zum Verkauf anzubieten. Auf dieser Basis war es nahezu unmöglich, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu betreiben.

Trotz des schwierigen Marktumfeldes drängten Anfang der 1970er Jahre neue Anbieter auf den Markt für automationsgestütztes Ticketing. Im US-Bundesstaat Arizona hatte die ehemalige High-School-Lehrerin Dorothy McLaughling gemeinsam mit ihrer Schwester Margie Bliss und deren Ehemann Bill Bliss 1972 die Firma Select-A-Seat gegründet. Buchstäblich vom Wohnzimmer des Ehepaares Bliss aus wurde das neue Unternehmen betrieben. In den Abendstunden, nachdem ihre Kinder ins Bett gebracht worden waren, hatte Dorothy McLaughlin eine Software programmiert, die es ermöglichte, am Bildschirm zu erkennen, welche Sitze bereits verkauft waren und welche nicht (S. 30-31). Das war der erste große Unterschied zu den Systemen von TRS/Ticketron und Computicket, die lediglich über einen Drucker auf eine zentrale Datenbank zugreifen konnten und keine benutzerfreundlichen Oberflächen anboten. Der andere große Unterschied lag darin, dass die Select-A-Seat nur die Ticketing-Software mit entsprechendem Support an die Endverkaufsstellen lizenzierte (S. 32). Das Geschäftsmodell basierte demnach auf Gebührenzahlungen für Service- und Supportleistungen, was aber nur bescheidene Einnahmen erbrachte. Diese reichten zwar aus, den lokalen Markt zu bearbeiten, aber an eine Marktausdehnung und an Investitionen in Hardware war anfangs nicht denken. Erst als sich die Arizona Cattle Company bereits erklärt hatte, sich finanziell an Select-A-Seat zu beteiligen, konnte die Geschäftstätigkeit über ausgeweitet werden (S. 33).

Dorothy McLaughling musste aber feststellen, dass ein kurz davor in Kalifornien ins Leben gerufenes Ticketing-Unternehmen – Bay Area Seating Service (BASS) – sich einer fast identischen Software wie Select-A-Seat bediente (S. 34). BASS war 1974 vom Roller-Skat-Impresarion Jerry Seltzer und dessen Frau Hal Silen gegründet worden, um den Kartenvertrieb für die Roller-Skat-Shows effizienter zu gestalten. Zur Programmierung der Ticketing-Software hatten sie den an der Stanford University tätigen Artifical-Intelligent-Programmierer Bruce Baumgart gewinnen können. Dieser war in der Lage, in nur sechs Wochen Programmierarbeit eine ähnliche Softwarelösung zu konzipieren wie Dorothy McLaughlin in mehrmonatiger Kleinarbeit. Da die beiden Systeme sehr ähnlich waren, beschuldigte Select-A-Seat BASS der Softwarepiraterie. Der Select-A-Seat-Eigentümer, die Arizona Cattle Co., brachte Klage gegen BASS ein, die allerdings abgewiesen wurde, weil ein gerichtlich bestellter Gutachter keinerlei Ähnlichkeiten im Quellcode der beiden Software-Lösungen entdecken konnte. Für Select-A-Seat war das Fehlschlagen der Klage der Anfang vom Ende und 1977 musste der Konkurs angemeldet werden (p. 53). Zwei Jahre später stellte aber auch BASS seine Geschäftstätigkeit ein, obwohl es Jerry Seltzer gelungen war, enge Geschäftsbeziehungen mit dem Rockkonzert-Veranstalter und Betreiber der Fillmore West und East Musikclubs, Bill Graham, einzugehen (S. 51).

Vollständigkeitshalber sei noch erwähnt, dass ein drittes elektronisches Ticketservice – Fototicket – 1979 seine Toren schließen musste, und so nur mehr ein kleines Start-Up-Unternehmen namens Ticketmaster als Konkurrent des nunmehrigen Marktbeherrschers Ticketron verblieben war.

 

Im zweiten Teil soll der Aufstieg von Ticketmaster zum monopolistischen Anbieter von Konzertkarten in den USA nachgezeichnet werden.

 

 

Budnick Dean and Josh Baron, 2011, Ticketmasters. The Rise of the Concert Industry and How the Public Got Scalped. New York: ECW Press. ISBN 978-1-55022-949-3, EUR 18.99.

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