Nimmt man die Anzahl der jüngst erschienen Publikationen zum Thema Audio- bzw. Sound-Branding als Indikator, so kommt diesem Themengebiet eine immer größere Bedeutung zu. Ein neues Buch von Christoph Anzenbacher mit dem Titel „Audiologos – Integrative Gestaltungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der Musikpsychologie“, erschienen 2012 im Nomos Verlag unterstreicht die wachsende Relevanz dieser Thematik. Die Herangehensweise des Autors unterscheidet sich allerdings von bereits vorliegenden Arbeiten zu diesem Forschungsgegenstand, worauf ich in weitere Folge noch näher eingehen möchte.
Christoph Anzenbacher, 2012, Audiologos. Integrative Gestaltungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der Musikpsychologie.
Nach einem einleitenden, definitorischen Kapitel zu Audio-Branding, wählt Christoph Anzenbacher als Ausgangspunkt die Frage, wie Musik gehört wird und wie auditive Wahrnehmung funktioniert. Dazu erläutert er auch für einen Laien wie mich verständlich, wie der Gehörsinn aufgebaut ist und wie letztendlich im Gehirn auditive Informationen verarbeitet und als Einheit, die Psychologie spricht in dem Zusammenhang von einer Gestalt, wahrgenommen werden. Er steigt dabei tief in die Psychoakustik ein, und man erfährt einiges über psychoakustische Effekte wie die Maskierung (ein stärkerer verdeckt einen schwächeren Schall), den Residualton (die Fähigkeit des Gehirns fehlende Grundtöne zu ergänzen) und den Cocktailparty-Effekt (die Fähigkeit in einer Geräuschkulisse relevante Informationen herauszufiltern, indem Aufmerksamkeit hergestellt wird). Diese psychoakustischen Phänomene werden dann für das Verständnis von Audiologos im Besonderen und Audio-Branding im Allgemeinen relevant werden.
Bevor dies aber geschieht, widmet sich der Autor kurz der musikalischen Kommunikation im Werbezusammenhang (Kapitel 3) und dann sehr ausführlich der Frage, wie aus elementaren Sinneseindrücken komplexe Phänomene wie Markenbilder entstehen. Im ersten Schritt erklärt der Autor auf Basis der Erkenntnisse der Werbewirkungsforschung, wie Aufmerksamkeit überhaupt erst entsteht. Dabei kommt Musik eine entscheidende Rolle zu, da sie in der Lage ist, für Werbebotschaften zu aktivieren. Die Aktivierung liefert dann die Energie für die Aufmerksamkeit. Dazu existieren zahlreiche Erklärungsmodelle für Aufmerksamkeit, die willkürlich (Setzung eines Reizes, z.B. eine bestimmte Tonfolge) oder unwillkürlich (Veränderung eines Reizes, z.B. Veränderung der Tonhöhe oder Variation der Lautstärke) entstehen kann. Eine Werbewirkung hängt aber auch vom Involvement d.h. von der mentalen Verfasstheit des Rezipienten ab. Je höher das Involvement umso intensiver wird die Werbebotschaft verarbeitet. Allerdings kann bei niedrigem Involvement mit emotionaler Ansprache, wie sie oft mit Musik verknüpft ist, leichter eine Beeinflussung erzielt werden. In Zeiten der Massenkommunikation, in der Low Involvement die Regel darstellt, ist daher Emotionalisierung durch Musik besonders wichtig. Konsequenter Weise wendet sich der Autor in der Folge emotionalen Regungen wie Chills und Thrills zu, die sogar mit körperlichen Reaktionen („Gänsehaut“-Effekt) einhergehen können. Dabei spielen auf akustischer Ebene Konsonanzen, Dissonanzen und die Klangsyntax eine wichtige Rolle. Dabei geht es in der Werbung und der Markenführung um die Erzeugung von Wohlklang, der zum einen von der Sonanz (unmittelbare Wirkung eines akustischen Signals) und zum anderen von den verwendeten Tonarten abhängig ist.
Mit diesem psychoakustischem Inventarium versucht der Autor dann die Speichervorgänge für Musik im Gehirn verständlich zu machen. Nach der Erklärung, wie Gedächtnis insgesamt funktioniert, wird dargestellt, wie Tonintervalle, Rhythmus, Akzentuierung und Klangfolgeerwartungen die Kognitionsbildung beeinflussten. Anzenbacher landet schließlich beim Ohrwurm, der sich durch einen extrem hohen Wiedererkennungswert auszeichnet und somit eine starke Wirkung beim Rezipienten verursacht.
Damit spannt der Autor abschließend in diesem vierten Kapitel den Bogen zur Imagebildung, die durch Musik erzielt werden kann. Dabei spielen Emotionen und Assoziationen, die durch Musik ausgelöst werden können, einen wichtige Rolle. Wenn Musik in der Lage ist, positive Emotionen und Assoziationen zu evozieren, so befördert dies das Markenimage. Dieses kann aber nur durch Verknüpfung von Wissensinhalten zu einem semantischen Netzwerk (= Netzwerk von Bedeutung) geschehen. Voraussetzung ist die Speicherung eines z.B. akustischen Reizes innerhalb eines Schemas, das als Gefüge von Bedeutungseinheiten verstanden werden kann. Diese können gespeichert und auch nach langer Zeit wieder abgerufen werden. Für das Audio-Branding relevant ist dabei aber vor allem das Abrufen gewünschter Assoziationen bezüglich einer Marke, die akustisch über musikalische Klischees herstellbar sind. So werden Calypso-Klänge stets mit Sandstrand und Meer assoziiert, was die Imagebildung erleichtert.
Vor diesem theoretischen Grundgerüst erläutert der Autor im fünften Kapitel den Einsatz zahlreicher Elemente, die für die akustische Markenführung von Relevanz sind. Zuerst das Audiologo, das ein akustisches Erkennungsmerkmal einer Marke darstellt. Um erfolgreich zu sein, muss ein Audiologo kurz und prägnant (nur wenige Sekunden) unverwechselbar, erinnerbar und flexibel sein. Dabei kein ein Audiologo eher Melodie- oder Geräuschcharakter haben und zusätzlich vokal unterstützt sein. Davon zu unterscheiden ist der Jingle als Vertonung eines Werbeslogans wie z.B. „Haribo macht Kinder froh und Erwachsne ebenso“. Der Brand Song hingegen dient der akustischen Unterstützung des übrigen Werbeinhalts und wirkt eher im Hintergrund in Radio- und TV-Spots sowie in Telefonwarteschleifen. Firmenhymnen sollen im Unterschied dazu die Identifikation mit einem Unternehmen erhöhen und die Zusammengehörigkeit erzeugen. Sie richten sich daher eher an die eigenen MitarbeiterInnen des Unternehmens. Soundscapes haben die Funktion eines Klangteppichs, der positive Assoziationen und Images erzeugen soll. Direkte Werbebotschaft ist damit aber keine verbunden. Die bekannteste Form davon ist Hintergrundmusik in Fahrstühlen oder in Geschäftslokalen. Das kürzeste Element der Brand Sounds ist das Sound Icon, das lediglich in einem Geräusch oder Ton, wie das Zischen beim Öffnen einen Flasche bestehen kann. Und schließlich ist noch die Brand Voice zu nennen, die zu gesprochenen Texten, die die Werbebotschaft transportieren sollen, verwendet wird.
Nach einem kurzen Exkurs zur historischen Entwicklung der Markenführung, wird im siebten Kapitel dargestellt, wie ein Corporate Sound strategisch entwickelt werden kann. Dabei werden die dazu nötigen Arbeitsschritte – Brand Audit, Market Review, Sound Workshop, Creative Briefing, Sound Production, Market Research, Brand Sound Guidelines und schließlich Sound Tracking – kurz erläutert, um auf die Probleme und Schwierigkeiten bei der Erstellung eines Konzepts der akustischen Markenführung hinzuführen. Abgerundet wird das Buch dann noch durch die Darstellung von Messverfahren zur Evaluierung von Audiologos (Kapitel 8), deren rechtliche Schutzfähigkeit (Kapitel 9) und schließlich die vergleichende Analyse ausgewählter Audiologos (Kapitel).
Insgesamt bietet das Buch Audiologo von Christoph Anzenbacher einen wissenschaftlich sehr gut fundierten Erklärungsbeitrag wie Audio-Branding bzw. Audiologos funktionieren und einen Beitrag zur Markenführung leisten können. Der Autor zeigt das noch bei weitem nicht vollständig ausgeschöpfte Potenzial akustischem Brandings auf und weist auf zukünftige Anknüpfungspunkte für die Forschung aber auch die praktische Umsetzung in diesem Bereich hin. Der Schwerpunkt des Buches liegt aber vor allem auf den psychologischen Wirkungszusammenhängen, die Audiologos aufweisen, wodurch marketingtechnische Aspekte der Markenführung ein wenig zu kurz kommen. So stellen die Kapitel 3 (Musikalische Kommunikation im Werbezusammenhang) und Kapitel 6 (Historische Entwicklung der akustischen Markenführung) fast Fremdkörper im Text dar, die den Lesefluss eher hemmen als zu fördern. Zudem wäre es noch spannend gewesen, mehr über die strategischen Aspekte des Audio Branding zu erfahren, aber vielleicht gibt es hier auch noch einiges für die Forschung zu tun. Trotz dieser Einwände, ist Audiologos von Christoph Anzenbacher ein wichtiger Beitrag zum besseren Verständnis eines noch sehr jungen Forschungsgebietes und das Buch ist jeder/m ans Herz zu legen, die/der mehr über die psychologischen Hintergründe des Audio-Branding erfahren möchte.
Christoph Anzenbacher, 2012, Audiologos. Integrative Gestaltungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der Musikpsychologie. Band 17 der Reihe Praxisforum Medienmanagement. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft. ISBN 978-383-297-149-6. Preis: EUR 24,00.
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